Neue Wege beim Bau von Flugzeugtüren und ihren Notöffnungssystemen

Amberg

Neue Wege beim Bau von Flugzeugtüren und ihren Notöffnungssystemen

Im modernen Flugzeugbau herrscht ein gnadenloser Wettbewerb, der Kostendruck ist immens. Immer weiter steigende Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit und den Umweltschutz der Großraumflugzeuge unserer Zeit erfordern Forschung und Innovation in allen denkbaren Bereichen. Ein bayerisches Konsortium aus Wissenschaft und Industrie geht beim Bau von Flugzeugtüren und ihren Notöffnungssystemen neue Wege.

Vor allem die Gewichtsminimierung ist eine große Herausforderung im Bau der Jets. Bei Türen und Toren der Flugzeuge sind die Öffnungssysteme ein wichtiger Posten in der Gewichtsbilanz. Dabei sind die als sicherheitskritisch einzustufende Notöffnungssysteme der Türen ein Bereich hoher spezifischer Gewichte und Kosten.

Hier setzt das ehrgeizige Forschungsprojekt PYROTAK an – ein Verbund-Forschungsvorhaben bayerischer Firmen und Hochschulen, das jetzt erfolgreich angelaufen ist. Die beteiligten Firmen und Hochschulen wollen unter Federführung des Konsortialführers Eurocopter Deutschland GmbH, Donauwörth, einen neuartigen pyrotechnischen Türaktuator entwickeln, der im Notfall die Türen von Großraumflugzeugen wie dem Airbus A350 EXTRA WIDE BODY öffnet. Darüber hinaus bietet dieses innovative Konzept Potential zur Nachrüstung bestehender Flugzeugflotten wie die A300-, A320-, A330/A340- oder A380-Familien.

Denkbar sind ebenso weitere Anwendungen in der Luftfahrtindustrie auf dem Gebiet der Aktuatoren, die ein ähnliches Anforderungsprofil haben, wie die Notöffnung von Passagiertüren. Somit sind positive Folgeeffekte für den Wirtschaftsstandort Bayern nicht nur hinsichtlich der Entwicklung und Herstellung von Notöffnungssystem für Flugzeugtüren, sondern für den gesamten Bereich der Luftfahrtindustrie zu erwarten.

Das Forschungsvorhaben PYROTAK, das ein Volumen von 2 Millionen Euro umfasst, soll bis zum Ende des Jahres 2010 abgeschlossen sein. Die Bayerische Forschungsstiftung fördert das Projekt zu 50 Prozent. Durch die Entwicklung eines neuartigen Passagiertürensystems bis zur Serienreife wird eine Stärkung des Luftfahrt-Standorts Bayern erwartet, und die Sicherung bestehender sowie die Schaffung neuer Arbeitsplätze bei den beteiligten Firmen vorangetrieben.

Das ist der Ausgangspunkt: Die derzeit in der Industrie bekannten Verfahren zur Notöffnung von Flugzeug-Passagiertüren, elektrisch oder pneumatisch, wie sie zum Beispiel im Airbus A380 verwendet werden, stellen in Bezug auf Gewicht, Wartungsaufwand, Komplexität des elektrischen Systems und der Energiedichte noch kein Optimum dar.

Pyrotechnische Treibmittel sind in der Luftfahrt bisher nicht ausreichend entwickelt, das wirtschaftliche Potential dieser Antriebsmöglichkeit bislang ungenutzt. Ziel von PYROTAK ist daher die Entwicklung eines pyrotechnischen rotatorischen Antriebssystems zur Öffnung der Passagiertüren, wenn bei einem Notfall die Türen zuverlässig automatisch geöffnet werden müssen.

Die Einführung einer gänzlich neuartigen Technologie wie der Pyrotechnik für rotatorische Aktuatoren erfordert die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Forschung und Industrie in einem außerordentlichen Maße. Die Firma Eurocopter Deutschland GmbH, Donauwörth, ist ein in Europa führender Hersteller von Türen und Frachttoren von Verkehrsflugzeugen vor allem für Airbus. Für die Entwicklung des pyrotechnischen Türaktuators hat sie sich namhafte Universitäten und Firmen ins Boot geholt.

Die Entwicklung des pyrotechnischen Treibmittels liegt in der Verantwortung der Firma HS Product Engineering in Alling. Eine besondere Herausforderung dabei ist es, Erkenntnisse zum Einsatz von Pyrotechnik für langsam agierende Systeme zu gewinnen.

Weitere wissenschaftliche Unterstützung erfährt das Projekt durch Prof. Johann Höcherl (Gesamtvalidierung) und Prof. Dr. rer. nat. Michael Pfitzner (Thermodynamik), beide von der Universität der Bundeswehr Neubiberg.

Prof. Dr.-Ing. Bernhard Frenzel und Prof. Dr. Peter Kurzweil, beide von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Amberg-Weiden, sind für die Konzeption und Auslegung des Anzündgeräts verantwortlich. Der mit dem Anzündgerät aktivierte pyrotechnische Treibsatz stellt das erforderliche Arbeitsgas für den Motor zur Verfügung. Der rotierende Aktuator gibt dann seine Arbeit an die Flugzeugtür ab.

Im Verbundforschungsvorhaben werden zwei verschiedenen Antriebskonzepte verfolgt: Ein direkter Gasmotor und ein indirekter Gasmotor, der mit einem zusätzlichen Untersetzungsgetriebe ausgestattet ist.

Die strömungsmechanische Auslegung des Gasmotors übernimmt Prof. Dr.-Ing. Andreas P. Weiß von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Amberg-Weiden. Durch die Ingenieure der bayerischen Firma HS Product Engineering wird das Konzept eines direkten Gasmotors ausgearbeitet.

Der pyrotechnisch gezündete indirekte Motor mit Untersetzungsgetriebe entsteht dagegen in den Entwicklungslabors der DEPRAG SCHULZ GMBH u. CO. Seit mehr als 75 Jahren fertigt die Amberger Firma Druckluftwerkzeuge aller Art. Zentrales Element all dieser Werkzeuge ist der Druckluftmotor als Antriebseinheit. Je nach Anwendungsfall wird hierbei ein Druckluftlamellenmotor, ein Zahnradmotor oder ein Turbinenantrieb verwendet. Für das Forschungsprojekt liegt der Schwerpunkt beim Turbinenantrieb, der die höchste Leistungsdichte und ölfreien Betrieb ermöglicht.

Durch geeignete Turbinenmotoren lassen sich auf kleinstem Bauraum und bei geringem Gewicht hohe Antriebsleistungen erreichen. Bei einem Maschinengewicht von unter zwei Kilogramm lassen sich hier bis zu vier Kilowatt Leistung umsetzen. DEPRAG-Turbinen finden bisher beispielsweise Anwendung in handgeführten Druckluftschleifmaschinen.

Diese Eigenschaften – geringes Gewicht und hohe Leistung – machen den DEPRAG-Turbinenmotor für den Einsatz im PYROTAK-Notfall-Türsystem interessant. Die Ingenieure der DEPRAG arbeiten nun mit Hochdruck an dem ehrgeizigen Projekt, einen pyrotechnisch gezündeten Gasmotor mit Untersetzungsgetriebe zu entwickeln, der sein Drehmoment direkt am Antrieb der Türöffnung entfalten soll.

Zu guter Letzt übernimmt das bayerische Unternehmen ELEKTRO-METALL aus Ingolstadt die konstruktive Integration der Aktuator-Einheit.

Mit dem wartungsarmen, zuverlässigen und gewichtsreduzierten Notöffnungssystem PYROTAK sieht das Forschungskonsortium die Chance, in einem expandierenden Markt die Führungsrolle zu behaupten. Flugzeughersteller werden in Zukunft ihre Kostensituation immer mehr dadurch verbessern, dass sie komplexe Systeme an bevorzugte Lieferanten vergeben. So ist zu erwarten, dass schon bei der Ausschreibung der Flugzeugtüren das Notsystem, die Türüberwachung und Notrutsche Bestandteil eines „Gesamtpaketes“ sein werden. Mit zukunftsweisenden Technologien wie PYROTAK könnten nicht nur die Eurocopter Deutschland GmbH, sondern auch die beteiligten Industriepartner Marktanteile sichern und ausbauen.


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Dagmar Hierl
DEPRAG SCHULZ GMBH u. CO.
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