Rede von Dr. Guido Westerwelle zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Maßnahmenpaket…

Berlin

Rede von Dr. Guido Westerwelle zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Maßnahmenpaket zur Stabilisierung des Finanzmarktes

Rede im Deutschen Bundestag am 15. Oktober 2008

(Stenographisches Protokoll)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich beim Herrn Bundestagspräsidenten für diese wie ich finde notwendige und wichtige Erklärung gleich zu Beginn unserer Aussprache ausdrücklich bedanken. Ich möchte für die FDP-Fraktion festhalten, dass wir nicht aufhören, Parlamentarier zu sein, nur weil wir jetzt ich vermute, das geht allen Kolleginnen und Kollegen so im Interesse unseres Landes aus patriotischer Verantwortung heraus darauf drängen, schnell zu beraten und zu entscheiden. Es kann nicht gelten: Je größer die Summe ist, desto geringer ist die parlamentarische Kontrolle. Umgekehrt ist es richtig.

Deswegen will ich ich vermute, das wird vielen Kolleginnen und Kollegen, ob sie in der Opposition oder in den Regierungsfraktionen sind, so gehen klarmachen: Weil schnelles Handeln nötig ist, haben wir einer schnellen parlamentarischen Beratung zugestimmt. Das heißt ausdrücklich nicht, dass wir jedes Detail, jedes Instrument, jede Maßnahme dieses Gesetzes, vor allem die im Verordnungswege, am Schluss auch unterstützen. Wir haben erhebliche Fragen. Die sind nicht aus der Welt, nur weil wir bereit sind, unter Verzicht auf unsere Fristeinreden in dieser Woche dafür zu sorgen, dass schnell entschieden werden kann.

Ich möchte für meine Fraktion zu Protokoll geben, dass mit der konstruktiven Begleitung dieses Hilfspakets ausdrücklich keine Zustimmung zu allem verbunden ist. Wir haben, wie gesagt, Fragen: Warum ist der Bundesregierung so wenig an parlamentarischer Begleitung gelegen? Warum sollen die Not-Verordnungen vollständig am Parlament vorbeigehen? Wäre es nicht klug, wenigstens für die Kabinettsverordnungen eine Abstimmungspflicht mit unserem Haushalts- oder Finanzausschuss vorzusehen?

Warum sollen einige Regelungen, beispielsweise die zum Insolvenzrecht das ist bisher in der Öffentlichkeit noch nicht bekannt geworden, weil wir über die finanzwirksamen Sachen natürlich an erster Stelle sprechen , zeitlich unbefristet gelten? So sieht es der erste Entwurf jedenfalls vor. Ich höre ich will dem nicht vorgreifen , dass Sie in den Regierungsfraktionen Ähnliches angemerkt haben. Ich denke, das wird heute in den Ausschussberatungen noch zu lösen sein.
Warum soll die Kontrolle des Bundesrechnungshofs in weiten Teilen ausgeschlossen sein? Wie geht der Staat aus den Banken wieder heraus? Also: Was ist eigentlich unsere Rückzugsstrategie?

Auch das muss beantwortet werden.
Meine Damen und Herren, es ist schon eine erhebliche Frage: Wie kann die Bundesregierung davon ausgehen, dass dieses Gesetz keinen spürbaren Zinseffekt haben wird und sich nach ihren eigenen Angaben nicht auf die Verbraucherpreise auswirken wird? Ich sage nur eines: Es kann nicht vernünftig sein, dass sich durch eine solche Haushaltsgesetzgebung und durch solche Summen der Wert unseres Geldes plötzlich verringert. Es gilt der Satz: Inflation ist etwas, was im Interesse ge-rade der sozial Schwächsten unbedingt vermieden werden muss.

Wenn wir über solche Summen reden, dann muss das angesprochen werden. – Ich vermute, dass es unstreitig ist. Ich sage es hier aus unserer Sicht. Aber da wir als Parlamentarier gegenüber der Regierung gefragt sind, möchte ich sagen: Es geht nicht um eine Selbstbeschäftigung des Parlaments, sondern es geht um ein Grundprinzip unserer Gewaltenteilung: Die Regierung regiert, aber die Treuhänder der Steuergelder sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Wir können Ihnen hier keinen Blankoscheck ausstellen. Das müssen Sie wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Sie haben Ihr Krisenmanagement geschildert. Ich will die Stunde heute nicht nutzen, um mich mit Ihrem Krisenmanagement auseinanderzusetzen. Das ist heute nicht die Stunde dafür. Ich glaube allerdings, dass Sie dabei nicht so positiv wegkommen, wie Sie dies selber in Bezug auf Ihre eigene Arbeit meinen. Ich habe doch den Eindruck, dass bei Ihrem Handeln in den letzten Wochen sehr viel Versuch und Irrtum dabei gewesen sind. Aber wir wollen über das reden, was jetzt schnell notwendig ist.
Notwendig ist das ist etwas, Frau Bundeskanzlerin, was Sie in der Regierungserklärung der letzten Woche schon einmal gesagt haben und was ich noch einmal unterstreichen möchte eine Neuregelung der Bankenaufsicht. Es ist aus unserer Sicht schlechterdings inakzeptabel, dass wir eine Bankenaufsicht haben, die so untergliedert ist, dass sie sich gegenseitig eher behindert, anstatt dass sie die Banken effizient begleitet.

Wir wollen, dass die Bankenaufsicht unter eine staatliche Verantwortung kommt. Wir unterstützen Sie, wenn Sie in Europa und international ähnliche Aufsichts- und Verkehrsregeln durchsetzen wollen; das ist gar keine Frage.
Wir wollen und müssen über die Ratingagenturen reden; das ist, glaube ich, in den letzten Wochen und Monaten viel zu kurz gekommen. Damit, dass die Ratingagenturen gewissermaßen aus eigener, innerer Erkenntnis heraus mit gelegentlichen Interessenkollisionen mit dem Daumen nach oben oder nach unten zeigen und darüber entscheiden, was sein wird, obwohl es gelegentlich an Unabhängigkeit fehlt, müssen wir uns befassen. Ich wiederhole den Vorschlag der FDP-Fraktion, ob wir für Ratingagenturen nicht eine europäische Stiftung brauchen, wie wir sie beim Verbraucherschutz bereits haben: Warentest auch für Ratingagenturen und Bewertungen von Firmen. Ich glaube, mehr Unabhängigkeit wird richtig sein.

Herr Finanzminister, Sie haben Wert darauf gelegt, dass die Bilanzierungsregeln verändert werden; das wurde noch nicht angesprochen. Es ist gut und richtig, dass das mutmaßlich noch im dritten Quartal gelingen kann. Das ist von ganz herausragender Bedeutung. Das ist nicht nur Technik für Feinschmecker, sondern ganz erheblich für die Realwirtschaft in den nächsten Monaten.

Zudem ist erforderlich, dass die internationalen Standards verändert werden. Auch hier wollen wir Sie konstruktiv begleiten.
Ich will noch auf etwas anderes in dieser Situation eingehen, weil ich glaube, dass es notwendig ist. Mit zwei Dingen werden wir uns nicht nur heute, sondern in den nächsten Monaten definitiv befassen müssen. Dazu haben Sie nichts gesagt; vielleicht wird es der Finanzminister noch tun. Erstens: Was bedeutet das, was Sie uns vorlegen, für den Bundeshaushalt? Was bedeutet das für das Ziel der Konsolidierung der Staatsfinanzen? Alles, was über den Abbau der Schulden, die zulasten der nächsten jungen Generationen gehen, gesagt worden ist, wird mit dem heutigen Tag aus Sicht der FDP nicht ungültig.

Es bleibt notwendig, damit verantwortungsvoll umzugehen. Unsere Sorge ist, dass jetzt ein Damm bricht, nach dem Motto: Wenn man nun mit solchen riesigen Summen mal eben jongliert, dann kann man die eine oder andere Milliarde für diese oder jene Wohltat nicht ernsthaft verweigern. Wir sollten weiterhin an die nächste Generation denken. Heute darf nicht die Stunde sein, in der solide Staatsfinanzen zulasten der nächsten Generationen zu Grabe getragen werden.

Ich unterstütze nachdrücklich, was Kollege Kauder in dieser Woche dazu mehrfach gesagt hat.
Zweitens: Was bedeutet das für die Realwirtschaft? Auch das muss an dieser Stelle ausdrücklich angesprochen werden. Ich glaube, Frau Bundeskanzlerin, dass das zu einer Regierungserklärung, zumindest aber zu einer solchen Debatte dazu gehört. Herr Finanzminister, als wir vor vier Wochen in den Haushaltsberatungen gesagt haben, dass wir am Rande einer Rezession stehen, haben Sie uns wörtlich! Sadomasotendenzen vorgeworfen. Ich frage: Wollen Sie das in Anbetracht des Herbstgutachtens allen Ernstes aufrechterhalten? Wer jetzt die Augen vor der wahren Wirtschaftsentwicklung verschließt, der versündigt sich an denen, die nächstes Jahr arbeitslos werden können.

Noch eine grundlegende Bemerkung zum Verhältnis zwischen Staat und sozialer Marktwirtschaft. Wir haben erlebt, dass in diesen Tagen mancher, der schon immer Probleme mit der Marktwirtschaft bzw. der sozialen Marktwirtschaft hat, glaubt, Oberwasser zu bekommen und Morgenluft zu wittern. Ich glaube, dass das zu kurz gegriffen ist. Aus unserer Sicht bleibt es dabei: Wir arbeiten jeden Tag daran, dass die soziale Marktwirtschaft besser wird.

Wir alle arbeiten hoffentlich gemeinsam daran, dass unser System, in dem wir leben, jeden Tag besser wird.

Es ist aber mit Sicherheit das beste System, das es jemals auf deutschem Boden gab. Es ist mit Sicherheit besser als jede Form von Planwirtschaft, die Sie nun wiederbeleben wollen.

Sie freuen sich zu früh, wenn Sie glauben, Sie könnten die Gunst der Stunde nutzen und die soziale Marktwirtschaft zu Grabe tragen.

Diese Rechnung wird nicht aufgehen.
Denjenigen, die jetzt sagen, der Staat müsse das alles lösen, will ich an dieser Stelle aus unserer Sicht, aus Sicht der Freien Demokratischen Partei, klar mit auf den Weg geben: Der Staat ist nicht der bessere Banker, er hat nur mehr Geld.

Das ist es, worum es im Augenblick geht.

Alle diejenigen, die meinen, alles Heil sei jetzt im Staat zu suchen und die soziale Marktwirtschaft könne abgewickelt werden, liegen aus unserer Sicht falsch. Wir brauchen einen Staat, der treffsicher ist, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert, der Rahmenbedingungen setzt.

Ein Staat, der sich so in das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger einmischt, dass einem die Luft wegbleibt, der aber bei der Aufsicht über die Banken versagt, ist nicht der starke Staat, den wir uns wünschen.

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