Arbeitsrecht | Pflegezeitgesetz +++ Achtung Pflegezeit-Missbrauch
Arbeitsrecht | Pflegezeitgesetz
Achtung Pflegezeit-Missbrauch
Im Sommer 2008 ist das Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz – PflegeZG) in Kraft getreten. Der Gesetzgeber wollte Beschäftigten die Möglichkeit eröffnen, pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen und damit die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern. Allerdings warnen Kritiker seitdem intensiv vor den Gefahren des Missbrauches durch Arbeitnehmer. Zu Recht?
Bochum / Essen, Januar 2009 – Durch das Pflegezeitgesetz haben Beschäftigte das Recht, in akuten Fällen bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben (kurzzeitige Arbeitsverhinderung) und sich, wenn der Arbeitgeber in der Regel über mehr als 15 Beschäftigte verfügt, bis zu einem halben Jahr von der Arbeit für die Pflege eines nahen Angehörigen freistellen zu lassen (Pflegezeit).
Für den Arbeitgeber dürfte diese – eigentlich sinnvolle – Regelung zu Komplikationen führen, denn: Der Beschäftigte hat die Inanspruchnahme der Pflegezeit dem Arbeitgeber nur „mindestens 10 Arbeitstage vor deren Beginn“ anzukündigen. Das bedeutet: Der Arbeitgeber erfährt mitunter sehr kurzfristig, dass ihm für einen langen Zeitraum ein Mitarbeiter fehlt. Darüber hinaus genießt der Beschäftigte ab der Ankündigung der Pflegezeit besonderen Kündigungsschutz (§ 5 Abs. 1 PflegeZG), sodass eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich nicht mehr möglich ist. Dieser Sonderkündigungsschutz gilt bis zur Beendigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung respektive der Pflegezeit. Dem Arbeitgeber soll dadurch die Möglichkeit genommen werden, sich des Beschäftigten zu entledigen. Hintergrund ist: Der Arbeitnehmer soll keine Repressalien wegen der Inanspruchnahme der Pflegezeit befürchten müssen.
Gleichzeitig hat dies aber dazu geführt, dass die Regelung eine latente Missbrauchsgefahr in sich birgt. Denn der Gesetzgeber hat es versäumt, den Sonderkündigungsschutz vor Beginn der Pflegezeit zeitlich zu begrenzen. Beispiel: Der Beschäftigte erfährt, dass in seinem Betrieb in einem halben Jahr Umstrukturierungen geplant sind, die zu einem Wegfall seines Arbeitsplatzes führen könnten. Da in diesem Fall eine Sozialauswahl für ihn negativ ausfiele, befürchtet er, von einer Kündigung betroffen zu sein. Deshalb kündigt er seinem Arbeitgeber an, in eineinhalb Jahren seine pflegebedürftige Mutter für einen Monat häuslich versorgen zu wollen. Mit der Begründung, dass in diesem Zeitraum die Pflege nicht anders sichergestellt werden könne, verlangt er Freistellung. Nach dem Gesetzeswortlaut hätte der Mitarbeiter ab dem Zeitpunkt dieses Verlangens 19 Monate Sonderkündigungsschutz mit der Folge, dass er aus einer Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen von vornherein herausfiele. Auch Arbeitnehmer, die bereits eine oder mehrere Abmahnungen erhalten haben und deshalb eine Kündigung befürchten, könnten versucht sein, sich auf diese Weise Kündigungsschutz zu verschaffen.
Dieser Kündigungsschutz könnte ferner durch das Verlangen erreicht werden, in den kommenden sechs Monaten freitags bereits vier Stunden früher die Arbeit zu beenden. Der Beschäftigte kann also auch eine teilweise Freistellung von der Arbeitsleistung verlangen. Über den gewünschten Umfang und die Lage der Freistellung haben sich die Arbeitsvertragsparteien zwar zu einigen. Der Arbeitgeber hat dabei aber den Wünschen seines Arbeitnehmers zu entsprechen, wenn dem keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Solche Gründe wird der Arbeitgeber regelmäßig nicht darlegen können.
Für diese Fälle gibt es allerdings ein rechtliches Konstrukt, das den Arbeitgeber schützt: Den Grundsatz von Treu und Glauben. Mit seiner Hilfe werden ungerechtfertigte Ergebnisse durch die Rechtsprechung im Rahmen des Möglichen korrigiert. Dieser Grundsatz besagt unter anderem, dass sich jemand nicht auf eine formale Rechtsposition berufen kann, wenn sich die Ausübung dieses Rechts als rechtsmissbräuchlich darstellt. Ein solcher Fall läge immer dann vor, wenn der Beschäftigte den Anspruch auf Pflegezeit nur deshalb geltend macht, weil er aus anderen Gründen eine Kündigung seines Arbeitsvertrages befürchtet. Eine solche rechtsmissbräuchliche Ankündigung kann keinen Sonderkündigungsschutz auslösen. Ein Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise könnte regelmäßig dann vorliegen, wenn die Ankündigung, Pflegezeit nehmen zu wollen, zu einem Zeitpunkt erfolgt, der sehr weit vor dem Beginn der Pflegezeit liegt.
Allerdings: „Derzeit ist noch gar nicht absehbar, welche Vorlaufzeit als Indiz für eine missbräuchliche Inanspruchnahme angesehen werden kann. Das Pflegezeitgesetz ist ein noch junges Gesetz. Dementsprechend konnten derartige Problemstellungen noch nicht gerichtlich behandelt werden. Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung durch das Bundesarbeitsgericht können noch Jahre vergehen“, warnt Rechtsanwalt Bastian-Peter Stenslik von der Kanzlei Aulinger Rechtsanwälte deshalb.
Zudem sei zweifelhaft, ob eine solche generelle Klärung durch die Rechtsprechung überhaupt erfolgen kann, da auch für eine sehr frühe Vorankündigung im Einzelfall gute Gründe vorliegen können, die einen Rechtsmissbrauch ausschließen würden. „Letztlich ist auch zu bedenken, dass ein Beschäftigter im Prozess die Annahme eines Rechtsmissbrauchs immer noch erschüttern kann. Die Beweislast für das Vorliegen eines Falls des Rechtsmissbrauchs liegt beim Arbeitgeber, sodass er letztlich auch das Prozessrisiko trägt. Denn auch eine sehr frühe Ankündigung kann niemals mehr als ein bloßes Indiz sein“, so der Arbeitsrechtsexperte weiter.
Kritiker des Gesetzes sollten zudem berücksichtigen, dass sich eine sehr frühzeitige Vorankündigung auch für den Arbeitgeber als günstig erweisen kann. Denn diese gibt ihm die Möglichkeit der rechtzeitigen Planung. Angesichts der Tatsache, dass die mit zehn Arbeitstagen sehr kurze mindestens einzuhaltende Ankündigungsfrist für die Pflegezeit bei einem Ausfall des Beschäftigten von bis zu sechs Monaten für die Personalplanung des Arbeitgebers ein großes Organisationsproblem darstellen kann, weil schnell für einen befristeten Ersatz gesorgt werden muss, ist hierin ein Vorteil für den Arbeitgeber zu sehen.
Informationen im Internet: www.aulinger.eu
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