Wirtschaftliche Stabilisierung Ende 2009 in Sicht

Berlin

Wirtschaftliche Stabilisierung Ende 2009 in Sicht

Zimmermann: „Allein schon die Debatte über ein Konjunkturpaket III ist schädlich“

Das DIW Berlin hat sich deutlich gegen ein Konjunkturpaket III zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. „Allein schon die Debatte darüber ist schädlich, denn sie schafft neue Unsicherheiten“, sagte DIW-Präsident Klaus F. Zimmermann bei der Vorstellung der Frühjahrsanalyse seines Instituts. Außerdem beginne sich ein Ende der scharfen Rezession abzuzeichnen: „Angesichts der ohnehin drastisch steigenden Staatsschulden wären weitere Konjunkturmaßnahmen – seien es weitere Ausgaben, oder seien es Steuersenkungen – nicht zu verantworten.“

Das DIW Berlin rechnet zum Jahresende mit einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung. Für 2010 sieht das Institut ein realistisches Szenario in einer leichten Belebung: „Am ehesten ist von einer sehr schwachen und langsamen Erholung auszugehen,“ sagte DIW-Chef Zimmermann.

Zum sich abzeichnenden Ende der wirtschaftlichen Talfahrt tragen nach Ansicht des DIW Berlin die weltweiten Konjunkturprogramme bei. „Vor allem sprechen aber die niedrigen Rohstoffpreise und die dadurch sinkende Inflation für eine graduelle Erholung der Weltwirtschaft“, sagte Zimmermann.

Angesichts des scharfen Konjunktureinbruchs ab dem letzten Quartal 2008 werde die Wirtschaftsleistung im Jahr 2009 voraussichtlich um rund fünf Prozent geringer ausfallen als im Jahr zuvor. Vor dem Hintergrund der weiterhin großen konjunkturellen Unsicherheiten verzichtete das DIW Berlin für 2010 auf die Angabe einer konkreten Wachstumsrate, denn der konjunkturelle Wendpunkt ist schwer auszumachen.

Erholung kommt – aber nur mit Reformen auf den Finanzmärkten

Voraussetzung für eine konjunkturelle Stabilisierung sei eine Rückkehr des Vertrauens in die Finanzmärkte. „Das Vertrauen wird aber nur dann zurückkehren, wenn es zu einer wirksamen Neuorientierung im Finanzsektor kommt. Dazu gehören auch andere wirtschaftliche Anreizsysteme,“ so der DIW-Präsident.

Das Beharren der Bundesregierung auf strukturellen Reformen beim G20-Gipfel sei richtig gewesen. „Bei allem Lob für ihr Auftreten beim Londoner Gipfel sollte die Bundesregierung aber nicht vergessen, dass auch in Deutschland tiefgreifende Reformen im Finanzsektor anstehen.“ Das gelte für die Zukunft der Landesbanken ebenso wie für die vom DIW Berlin geforderte baldige Schaffung einer Bad Bank.

Kurzarbeit kaschiert eklatante Unterbeschäftigung

Die Zahl der Arbeitslosen könnte im Jahresverlauf um mehr als 700.000 auf 3,7 Millionen ansteigen. Eine eklatante Unterbeschäftigung werde derzeit durch einen Rückgang der Arbeitsproduktivität und die massive Ausweitung von Kurzarbeit kaschiert: „Es besteht das Risiko, dass aus Kurzarbeit echte Arbeitslosigkeit wird, wenn die Unternehmen im Sommer keine Besserung der Lage erwarten“, so Zimmermann.

Die Anstrengungen von Wirtschaft und Bundesregierung, die Beschäftigung trotz Wirtschaftskrise zu halten, seien aber positiv zu bewerten: „Die Ausweitung der Kurzarbeit hat bisher rein rechnerisch 800.000 Entlassungen vermieden,“ sagte DIW-Chef Zimmermann. „Das schont im Vergleich zu Arbeitslosigkeit die Staatskassen, stützt die Einkommen und hilft, dass die Beschäftigten fit für den Job bleiben.“

Zimmermann warnte vor einer Debatte über ein weiteres Konjunkturpaket. „Das Beispiel Kurzarbeit zeigt: Wir sollten mehr auf die automatischen Konjunkturstabilisatoren vertrauen“ so Zimmermann.

„Nicht die Konjunkturpakete, sondern die Defizite vergleichen“

In Folge der Konjunkturlage und der von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Konjunkturprogramme werden sich die öffentlichen Haushalte in einer in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Weise verschulden. Das Gesamtdefizit der öffentlichen Haushalte werde – bei großer Unsicherheit – im nächsten Jahr auf weit über 100 Milliarden steigen, nach knapp 80 Milliarden in diesem Jahr und einem nahezu ausgeglichenen Haushalt 2008.

Mit Blick auf das zu erwartende Etatdefizit sagte Zimmermann: „Wer Deutschland dafür kritisiert, dass wir nicht genug Geld für Konjunkturprogramme ausgeben, vergisst, dass es Lohnersatzleistungen und andere Sozialtransfers in diesem Umfang weder in den USA noch in China gibt.“ Diese Instrumente – die automatischen Stabilisatoren – wirkten dem Abschwung entgegen. Deshalb solle man nicht die Größe der Konjunkturpakete, sondern das Defizit der öffentlichen Haushalte miteinander vergleichen.

Verstecktes Konjunkturpaket III: die Abwrackprämie

Scharfe Kritik übte Zimmermann an der von der Koalition vereinbarten Aufstockung der Abwrackprämie: „Die Mehrheit der Bürger versteht sehr wohl, dass hier mit Subventionen ein wirtschaftlich und ökologisch schädlicher Hüttenzauber entfacht wird, für den die Steuerzahler auch noch sehr lange zahlen müssen.“ Gerade in Krisenzeiten sei aber von der Politik gefordert, den Bürgern auch ökonomisch unbequeme Zusammenhänge zu erklären. „Jeder Euro für den Verschrottungswahnsinn wird schon nach der Bundestagswahl für Kita-Erzieher, Turnhallen und Nachwuchswissenschaftlerinnen fehlen.“

Schnellere Erholung nicht ausgeschlossen

Das DIW Berlin hält eine schnellere konjunkturelle Erholung nicht für ausgeschlossen. Die Begründung für ein solches Szenario:

Der dramatische Einbruch bei den für den deutschen Export besonders wichtigen Investitionsgütern (Maschinen, Fahrzeuge, Anlagen) spiegelt keinen typischen Verlauf der Investitionstätigkeit wider. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in den Unternehmen die Unsicherheit über die weitere Entwicklung an den Finanzmärkten die Sicherung der Liquidität zur obersten Priorität hat werden lassen.

Dies dürfte zum Teil die ungewöhnliche Gleichzeitigkeit der rückläufigen Bestelltätigkeit erklären. Auch wenn jetzt zahlreiche Investitionsvorhaben zurückgestellt werden: Die grundsätzliche Wirtschaftlichkeit dieser Projekte muss damit nicht in Frage stehen. Dass die Exporterfolge der deutschen Investitionsgüterindustrie auf einer Blasenentwicklung in den Realwirtschaften der Abnehmerländer beruhen, lässt sich ebenfalls nicht eindeutig sagen.

Sollten sich aber die Turbulenzen an den Finanzmärkten rascher als gedacht beruhigen, so könnten weltweit die aufgeschobenen Investitionsvorhaben auch wieder in Gang kommen. In einer solchen Situation träfe ein Nachfrageanstieg auf wenig ausgelastete Kapazitäten der Investitionsgüterproduzenten. Dadurch wäre ein starker Wiederanstieg der Wirtschaftsleistung über mehrere Quartale möglich.

Ferner könnte die weltweite Strukturkrise im Automobilsektor, die derzeit praktisch alle Anbieter in einer abwartenden Haltung verharren lässt, durch das Ausscheiden eines größeren Anbieters schneller als gedacht bereinigt werden. Sofern weltweit die kurzfristigen Stützungsprogramme für einzelne Hersteller aufgegeben werden und somit die Strukturanpassung ermöglicht wird, werden die dann verbleibenden Hersteller auch schneller als bislang ihre Investitionspläne wieder aufgreifen, die sie bislang aus Sorge um die Konkurrenz durch staatlich protegierte Wettbewerber aufgeschoben haben.

Es könnte aber auch anders kommen.

Die Unsicherheit hält an, da die Neuregelungen der Finanzmärkte unzureichend bleiben und deshalb kein nachhaltiges Vertrauen entsteht. Dann würden auch die bestehenden strukturellen Probleme mehr und mehr in den Vordergrund rücken. Dabei handelt es sich nicht nur um Überkapazitäten auf der Angebotsseite, sondern auch – und vor allem – um Schwächen auf der Nachfrageseite. Das gilt insbesondere für die angelsächsischen Länder, die lange Zeit über ihre Verhältnisse gelebt haben.

Was sind automatische Stabilisatoren?

Als automatische Stabilisatoren bezeichnen Ökonomen die in einer Rezession zurückgehenden Steuereinnahmen bei gleichzeitigem Anstieg von Sozialleistungen wie dem Arbeitslosengeld – deswegen ein „automatischer“ Effekt, weil hierfür keine speziellen politischen Beschlüsse notwendig sind. Weniger Steuerbelastung, mehr staatliche Transfers: Beides zusammen wirkt in der Krise wie ein antizyklisches Konjunkturprogramm.

Nach dem Sturm: Schwache und langsame Erholung – Frühjahrsgrundlinien 2009. In: Wochenbericht des DIW Berlin 15-16/2009.

Außerdem im Wochenbericht:
– DIW-Konjunkturbarometer April 2009
– Mit Strategie zum Aufschwung. Kommentar von Klaus F. Zimmermann

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