WESTERWELLE zu Opel: Steuerzahler sollten in Hab-Acht-Stellung gehen
WESTERWELLE zu Opel: Steuerzahler sollten in Hab-Acht-Stellung gehen
Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem „WDR 5“ heute das „Interview des Monats“ für das Format „Platz der Republik“. Die Fragen stellten DR. GERD DEPENBROCK und RÜDIGER BECKER:
Frage: Herr Westerwelle, man kann natürlich ein Interview heute Abend nicht ohne das Thema Opel beginnen. Sie haben sich immer etwas distanziert geäußert und zum Beispiel gesagt, man habe den Eindruck, nicht Opel solle gerettet werden, sondern Opel solle die Regierungskoalition retten. Nun ist es immer leicht, aus der Opposition heraus die reine Lehre zu verteidigen. Wenn Sie jetzt aber in der Regierungsverantwortung gestanden wären, müssten Sie da nicht auch pragmatisch handeln?
WESTERWELLE: Wir würden mit Sicherheit auch pragmatisch handeln und alles tun, um Arbeitsplätze zu sichern, aber nicht um den Preis, dass die kleineren und mittleren Betriebe alle über die Wupper gehen. Alle schauen im Augenblick auf die großen Betriebe, schauen hin zu Opel. Da muss man auch hinschauen. Aber dass man dabei die kleinen und mittleren Betriebe – und das ist das Rückgrat der Wirtschaft und das ist das Rückgrat der Arbeitsplätze – vernachlässigt, das akzeptieren wir auf keinen Fall.
Frage: Und was für Opel gilt, das gilt auch für Arcandor?
WESTERWELLE: Das ist ja genau das Thema. Natürlich kann man jetzt ein großes Unternehmen nach dem anderen, das mächtig genug ist, auch Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen, mit Steuer-Schecks unterstützen. Aber das muss ja jemand erwirtschaften. Das muss ja jemand bezahlen. Und am Schluss ist es der Mittelstand, wo mit zu hoher Steuer- und Abgabenlast gedrückt wird. Am Schluss werden auch die gesunden Unternehmen durch Wettbewerbsverzerrungen auch noch krank. Und wenn wir Arcandor nehmen, da höre ich, dass mehr als die Hälfte dieses Betriebes einen Umsatzanteil hat aus dem Reisegeschäft. Warum werden da nicht Teile veräußert, bevor man beim Steuerzahler die Hand aufhält? Es kann doch nicht die Aufgabe von Politikern sein, auch einer wohlhabenden Eigentümerfamilie ihr Vermögen zu sichern. Es geht doch um Arbeitsplätze und nicht darum, dass beispielsweise auch Eigentümerwechsel
verhindert werden sollten. Ich meine, nehmen wir mal das Kaufhaus des Westens hier in Berlin. Das hat doch nicht immer diesem Eigentümer gehört. Das hat schon verschiedene Eigentümer gehabt. Und wenn der Eigentümer wechselt, dann wechselt er eben. Davon geht doch noch kein einziger Arbeitsplatz verloren.
Frage: Der Staat soll Schiedsrichter sein, aber selber nicht mitspielen. Das ist, glaube ich, so in etwa die Position der FDP. Aber wo sind da die Kriterien? Wann ist es angebracht, dass der Staat eingreift und wann nicht?
WESTERWELLE: Man soll auch Brücken bauen. Und das, was für den Mittelstand gilt, dass es auch Bürgschaftsprogramme gibt, das will ich auch Anderen nicht verweigern. Aber ich mache mir schon Sorgen darüber, wenn jetzt ein privater Investor nach dem anderen sich bei Opel zurückzieht, offensichtlich weil General Motors sehr teure Tretminen noch vergraben hat. Dann sollten auch die Steuerzahler wirklich auf Hab-Acht-Stellung gehen. Dann sollten auch die Politiker sehr vorsichtig mit den Steuergeldern umgehen. Denn wir wollen mal nicht vergessen: Das ist ein gigantisches Geschäft. Und wenn sich nicht mal mehr ein privater Investor findet, weil General Motors täuscht, trickst, tarnt, dann sollte auch der deutsche Steuerzahler geschützt werden. Es darf kein Steuergeld verplempert werden, was in Wahrheit nichts Anderes zur Folge hätte: Die Arbeitsplätze in Deutschland werden nicht sicherer. Aber in Amerika machen sich dann einige die Taschen voll mit unseren Geldern. Das wollen wir verhindern als FDP.
Frage: Herr Westerwelle, am Samstag vor einer Woche feierten Union und FDP die Wiederwahl Horst Köhlers wie einen vorweggenommen Sieg bei der Bundestagswahl. Aber in Wahrheit hatten Union und FDP keine eigene Mehrheit. Sie brauchten nicht nur die Freien Wähler, sondern sogar Stimmen von den Grünen. Sind die Grünen also doch – entgegen üblicher liberaler Lesart – konservativ und könnten für Koalitionen in Frage kommen?
WESTERWELLE: Ich weiß nicht, wie die Anderen abgestimmt haben. Ich weiß nur, dass die FDP einstimmig unseren Bundespräsidenten wiedergewählt hat. Und wir haben nicht einen schwarz-gelben Sieg gefeiert, sondern wir haben uns aufrichtig darüber gefreut, dass der Versuch von SPD, von Linkspartei und von Grünen gescheitert ist, einen hochangesehenen Bundespräsidenten aus dem Amt zu bringen.
Frage: Wir wissen, dass Sie Fragen nach anderen Koalitionen gerne ausweichen. Aber die Wähler wollen durchaus wissen: Was wird, wenn es nicht zur Zweisamkeit reicht?
WESTERWELLE: Wir setzen auf Schwarz-Gelb. Ich ärgere mich über den Linksrutsch der Union. Wenn ich allein an die Gesundheitspolitik und die Planwirtschaft denke, dann kann ich dafür nicht nur Ulla Schmidt verantwortlich machen, sondern muss leider auch sehen: Das hat die Union mit verbrockt. Aber gleichzeitig stellen wir fest: Die größten Gemeinsamkeiten sind immer noch mit der Union. Ich habe die Programme von SPD und Grünen gelesen und komme zu dem Ergebnis: Das sind Programme, die zur Linkspartei passen, aber nicht zur FDP.
Frage: Aber Sie haben oft genug gesagt: Es wird keine Ampel geben. Und Sie haben das analysiert: Wenn es keine bürgerliche Mehrheit gibt, dann bekommen wir ein Linksbündnis – nicht sofort, aber mit einer Schamfrist von ein oder zwei Jahren großer
Koalition. Wäre es da nicht gerade das Gebot für die FDP, dies durch eine Ampel zu verhindern?
WESTERWELLE: Wir werden das auf unserem Bundesparteitag dann entscheiden, der ja vor der Bundestagswahl noch stattfinden wird. Wir machen es also genauso wie 2005. Dass wir jetzt erst mal für unser eigenes Regierungsprogramm werben, dass wir sagen: Macht die FDP stark, damit wir von der Steuer über die Bildung bis hin zu Bürgerrechten mehr von unserem Programm durchsetzen können. Das versteht sich von selbst. Und dass wir die Koalitionsaussage auf einem eigenen Parteitag beschließen, das habe ich bereits angekündigt.
Frage: Wenn man die Akteure der großen Koalition beobachtet, dann sagen sie das zwar nicht offen, aber man hat doch das Gefühl, einige rechnen damit, ihre Arbeit können sie nach der Wahl fortsetzen. Wie hoch ist denn die Chance für Schwarz-Gelb insgesamt in Ihren Augen? Und was können Sie selber dafür noch tun?
WESTERWELLE: Die Chancen für Schwarz-Gelb stehen 50:50. Das Rennen ist noch lange nicht gelaufen. Wir haben sehr gute Chancen, mit einer starken FDP Schwarz-Gelb zu ermöglichen. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben. Und dass es auf jede Stimme ankommt, das hat man bei der Wahl zum Bundespräsidenten gerade gesehen. Wer linke Mehrheiten verhindern will und wer dafür sorgen will, dass diese große Koalition nicht fortgesetzt werden kann, der hat ja nur noch als Alternative die FDP.
Frage: Trotzdem hat man den Eindruck, Ihr Verhältnis zu Angela Merkel, das ja eigentlich sehr freundschaftlich ist, wirkt irgendwie abgekühlt.
WESTERWELLE: Ich bin natürlich politisch unzufrieden mit dem, was die Regierung getan hat – und übrigens auch die Bundeskanzlerin zu verantworten hat. Denn wir schauen jetzt zurück auf vier Jahre große Koalition. Das heißt, es war die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik. Die Bürokratie ist mehr geworden. Selbst in Zeiten des Aufschwungs wurden noch Schulden gemacht. Und jetzt werden Schulden gemacht wie noch nie zuvor. Gleichzeitig ist die Planwirtschaft im Gesundheitswesen eingeführt worden. Dieser Kassen-Sozialismus macht alles teurer, nichts besser. Und ich kann von dieser Kritik nicht die Kanzlerin ausnehmen, sondern dafür haftet die ganze Regierung, Rot und Schwarz.
Frage: Dass die Kanzlerin in der großen Koalition nicht die Wünsche der FDP erfüllen konnte, geschenkt. Aber Merkel war nun mal eben eine Präsidentin der großen Koalition, ihr Spielraum minimal. Nicht doch etwas Verständnis für die Kanzlerin in ihrer Situation?
WESTERWELLE: Sehen Sie, deswegen gilt der Satz von früher ja nicht mehr: Auf den Kanzler kommt es an. Sondern heute kann man sagen: Auf den Partner kommt es an. Um etwas frotzelig auf Ihre Frage zu antworten: Dann gebt doch Angela Merkel endlich den richtigen Partner, nämlich die FDP.
Frage: Dann frotzeln wir jetzt mal weiter: Selbstbewusstsein ist ja ein Markenzeichen von Ihnen. Wenn ich Sie jetzt als künftigen Juniorpartner der Union bezeichnen würde, bekäme ich aber schon wieder Ärger, nicht?
WESTERWELLE: Das stimmt, weil es ja ungalant wäre. Denn nur weil Angela Merkel wenige Jahre älter ist, sollten Sie mich nicht als Junior bezeichnen.
Frage: Nun sind sich ja die Berliner Beobachter einig: Sie müssten eigentlich das Ziel haben, die FDP wieder in Regierungsverantwortung zu bringen, dass das nicht zum vierten Mal hintereinander schiefgehen. Das könnte dann auch das Scheitern des Parteivorsitzenden Westerwelle sein. Wie antworten Sie darauf?
WESTERWELLE: Dass ich jetzt 47 Jahre alt bin und dass ich persönlich finde: Es ist ein bisschen früh, dass Sie mir schon mein Ende voraussagen.
Frage: Sie wollen also nicht um jeden Preis mitregieren?
WESTERWELLE: Wir wollen regieren, aber doch nicht um einfach nur regieren zu können. Das hätte ich doch schon machen können. Am Wahlabend 2005 hat Herr Schröder uns im Fernsehen eine Koalition in der Ampel angeboten. Ich habe gesagt: Wir bleiben bei dem, was wir unseren Wählern versprochen haben, nämlich dass wir Rot-Grün beenden wollen, dass wir es nicht verlängern werden. Wir haben Wort gehalten. Also wenn es nur darum ginge, einen Ministerposten zu bekommen, den hätten wir längst haben können. Es geht darum, dass man dem Land eine bessere Politik ermöglicht und dass man vor alle Dingen dafür sorgt, dass die Mittelschicht durch immer höhere Steuern und Abgaben nicht immer weiter belastet und ausgedünnt wird. Die Mittelschicht verhindert doch die Spaltung unserer Gesellschaft. Und die Mittelschicht ist doch auch in Wahrheit der Zusammenhalt und auch die Wohlstandschance unserer Gesellschaft. Und dass die Mittelschicht vor zehn Jahren noch zwei Drittel der Bevölkerung war und jetzt noch etwas mehr als die Hälfte, zeigt doch nur: Die Ungerechtigkeit wächst, weil die Mittelschicht schrumpft. Und das wollen wir ändern. Deswegen werde ich auch einen Koalitionsvertrag nur unterzeichnen, wenn darin ein neues, faires Steuersystem vereinbart worden ist.
Frage: Glauben Sie denn, die Mittelschicht ist nicht genügend bei der Union aufgehoben? Oder vielleicht anders gefragt: Gibt es Bedingungen, die, würden sie nicht erfüllt, Sie dazu bringen würden, den Handschlag mit der Union zu verweigern?
WESTERWELLE: Sehen Sie, das ist ja der große Streit nicht nur mit der Regierungspartei SPD, sondern auch mit der Union, zwischen uns und der Union. Die Union kann sich ja noch nicht so richtig entscheiden, ob sie wieder auf eine Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft setzt oder ob sie so heimlich still und leise die soziale Marktwirtschaft in Richtung Staatswirtschaft abwickelt. Und das irritiert uns. Und das muss ich auch nicht verschweigen. Da wollen wir etwas Anderes. Und ich will auch hinzufügen, dass die Union derzeit mit sich selbst streitet, ob man überhaupt das Projekt einer Steuerreform auf die Agenda setzt, ist aussagekräftig genug. Und schließlich: Selbst diejenigen, die mittlerweile auf Drängen der FDP in Richtung Steuerstrukturreform gehen, sagen: Bestenfalls als Ergebnis eines Aufschwungs, als Belohnung, als Aufschwungs-Dividende.
Und das ist das falsche Denken. Wir brauchen ein faires Steuersystem als Bedingung für einen Aufschwung, als Mittel gegen den Abschwung. Und das macht doch die Staatsfinanzen wieder gesund.
Frage: Aus der CDU hört man da immer wieder von einflussreichen Ministerpräsidenten zum Beispiel: Sowas kann der Guido Westerwelle nur versprechen, nämlich Steuersenkungen, ein einfaches Steuersystem, weil er ganz genau weiß, dass er es nicht einlösen muss, sprich: sicher sein kann, da zieht die Union nicht mit, zumindest nicht in dieser Radikalität.
WESTERWELLE: Na ja, dann werden die Wähler entscheiden müssen, wer mehr Muskeln in Koalitionsverhandlungen hat. Wer will, dass wir ein faires Steuersystem bekommen, wer die Zustände, wie sie heute im Steuersystem sind, nicht akzeptieren will, muss die FDP stark machen, damit wir gegen dieser Bremser auch bei der Union in Koalitionsverhandlungen was durchsetzen können.
Frage: Und woher wollen Sie das Geld nehmen für Steuersenkungen?
WESTERWELLE: Wir haben ja als einzige Partei jedes Jahr eine Liste vorgelegt mit 400 Ausgabenkürzungen. Und nehmen Sie allein nur mal die Frage der Schwarzarbeit. Das ist mittlerweile ein Volumen in Deutschland von ungefähr 350 Milliarden Euro jedes Jahr. Wenn es uns also nur gelingen würde, durch ein faires Steuersystem ungefähr 20 Prozent aus der Schwarzarbeit zurückzuholen in die normale Volkswirtschaft, wären die Staatsfinanzen prall gefüllt.
Frage: Die FDP fordert ja nun wirklich sehr eingängig ein einfacheres und gerechteres Steuersystem. Aber manchmal hat man den Eindruck, das ist wirklich die einzige Botschaft, die die FDP in den Wahlkampf bringt. Reicht es denn, die politischen Aussagen auf so wenige Kernbotschaften zu reduzieren?
WESTERWELLE: Dass in Zeiten, wo die Menschen Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wir uns über das unterhalten und das in den Vordergrund stellen, was geeignet ist, Aufschwung zu schaffen, Arbeitsplätze zu schaffen, auch den Sozialstaat finanzierbar zu machen, indem beispielsweise wieder mehr Arbeitsplätze für mehr Steuerzahler sorgen, das ist in meinen Augen selbstverständlich. Wir sind aber gleichzeitig eine Partei, die ist sehr bekannt für ihre Bildungspolitik, auch sehr anerkannt für ihre Bildungspolitik. Ich glaube, es wird Sie verwundern, dass der Wettbewerb Deutschlands mit dem Rest der Welt in den nächsten 20 Jahren nicht mal zuerst durch den Wettbewerb der Steuersysteme, sondern zuallererst durch den Wettbewerb der Bildungssysteme entschieden wird. Bildung als Bürgerrecht, Aufstiegschancen, dass der junge Mensch, der einsteigt, auch Chancen vorfindet, dass Bildung nicht abhängig wird vom Geldbeutel der Eltern, das ist etwas, was wieder in dieser Republik Realität werden muss. Ich selbst war bis zur mittleren Reife auf der Realschule. Und ich habe diese Bildung als Bürgerrecht als großes Glück meines Lebens empfunden. Ich durfte dann weiter aufs Gymnasium gehen. Das war in den siebziger Jahren keine Selbstverständlichkeit. Und ich finde, der Staat kann nicht garantieren, dass ein junger Mensch, der sich nicht anstrengt, es am Schluss schafft, aber er muss garantieren, dass jeder, der sich anstrengt, es schaffen kann.
Frage: Es gibt ja viele, die sich anstrengen, trotzdem reicht es nicht. Die FDP ist die Interessenvertretung der Leistungsträger und des Mittelstandes, sagen Sie immer. Aber es gibt ja viele, die bieten Leistung an, aber die Leistung wird nicht mehr nachgefragt.
WESTERWELLE: Und um genau die kümmern wir uns ja. Bei der letzten Bundestagswahl haben ungefähr acht Prozent der Arbeitslosen FDP gewählt. Das ist ja auf den ersten Blick, wenn man manches Vorurteil glauben mag, sehr überraschend. Es hängt damit zusammen, dass wir als FDP gerade denen, die Arbeit suchen, Wege zeigen, wie sie Arbeit finden. Die anderen Parteien sagen: Wir geben euch Steuergelder, das soll euch ruhigstellen, damit ihr zufrieden seid. Wir sagen: Wir sorgen auch dafür, dass keiner durchs Rost fällt. Aber gleichzeitig bauen wir euch Brücken zurück ins Berufsleben. Und wir erwarten auch von jungen Menschen, die jung sind, die gesund sind, dass sie die angebotenen Brücken auch beschreiten, zurück ins Berufsleben gehen. Mit anderen Worten: Wir sind der Überzeugung, dass Leistung nichts Negatives ist, sondern die Leistungsbereitschaft des Einzelnen, und dafür muss der Staat Rahmenbedingungen setzen, ist auch zugleich die Voraussetzung dafür, dass Soziale Gerechtigkeit überhaupt erwirtschaftet werden kann. Diejenigen, die da hinter roten Fahnen hertrotteln, wissen ja gar nicht, woher das Geld kommen soll. Wir sagen: Wir haben ein Herz für diejenigen, die kein Glück im Leben hatten, aber wir haben gleichzeitig den Verstand, unsere Wirtschaftsordnung so aufzustellen, dass das erwirtschaftet werden kann, was verteilt werden soll.
Frage: Herr Westerwelle, das zweite Standbein einer Partei, die den Staat soweit wie möglich raushalten will, war immer das Engagement für Bürgerrechte. Sie haben in Ihrer Parteitagsrede diesem Thema soviel Raum gegeben wie schon lange nicht mehr. Ist das eine Rückbesinnung darauf, den linken Flügel wieder stärker einzubinden?
WESTERWELLE: Ich denke nicht in diesen Links-Rechts-Kategorien. Denn wer für Freiheit ist, gilt, wenn er für wirtschaftliche Freiheit und gegen Bürokratie eintritt, leicht als rechts. Wenn er für gesellschaftliche Freiheit eintritt und gegen Entmündigung und gegen Bespitzelung, dann sagt man gleich, das sei links. Freiheit ist ja dieselbe Idee, nämlich die Freiheit zur Verantwortung. Und die Bürgerrechte werden in Deutschland von der Regierung nicht mehr ausreichend respektiert. Der Datenschutz kommt unter die Räder. Und jetzt sieht man es, wie notwendig es gewesen wäre, der FDP für einen besseren Datenschutz zu folgen. Dass Arbeiterinnen bis in die Umkleidekabinen gefilmt werden, dass Arbeitnehmer am Arbeitsplatz abgehört, durchleuchtet werden bis in die privatesten Kontenbewegungen hinein, das ist doch absolut unanständig und das gehört auch entsprechend politisch und rechtlich bekämpft. Und dementsprechend sind wir die Bürgerrechtspartei. Und Eines kann man nun wirklich auch mal anerkennen, selbst wenn man anders denkt als vielleicht die FDP es tut. Aber dass wir das Thema Bürgerrechte auch schon zur Zeit, als noch Rot-Grün regiert hat mit Herrn Schily an der Spitze vertreten haben, daran kann sich eigentlich noch Mancher erinnern. Manche tun ja so, als wäre der mangelnde Respekt vor der Verfassung, der Abbau der Bürgerrechte erst unter Herrn Schäuble so gekommen. Damit hat Rot-Grün angefangen mit Herrn Schily. Da nehmen sich die beiden Herren – Herr Schily, Herr Schäuble – gar nichts in ihrer historischen Verantwortung. Und es wird Zeit, dass wir wieder eine Regierung bekommen, die Respekt vor den Bürgerrechten hat.
Frage: Sie haben das schon angedeutet in einigen Punkten: In zentralen Fragen der inneren Sicherheit wie Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, Strafbarkeit von Terrortraining ist die FDP mit der Union und dem amtierenden Innenminister Schäuble über Kreuz. Wie soll das ab September zusammenpassen?
WESTERWELLE: Auch das hängt davon ab, wie stark wir gemacht werden, je nachdem können wir eben auch wirklich die Achse einer politischen Entscheidung verschieben. Und das ist ja unser Ehrgeiz. Wir wollen doch auch Sicherheit. Wir wissen doch auch, dass ein Mensch nur dann frei ist, wenn er nicht damit rechnen muss, permanent in irgendwelchen Vierteln seiner Stadt überfallen zu werden, wenn er sich sicher fühlt vor Kriminalität, wenn er weiß, dass man alles gegen terroristische Anschläge auch tut, wenn man weiß, dass man Privateigentum, Freiheit, körperliche Unversehrtheit, dass man das alles Ernst nimmt. Kriminalität muss man bekämpfen. Aber man schützt die Freiheit von Menschen nicht, indem man sie aufgibt. Maß und Mitte ist wieder gefragt. Und die Verfassung, die wir am letzten Wochenende groß gefeiert haben für 60 Jahre Großartiges, was sie als Grundlage für unser Land geleistet hat, diese Verfassung wird immer mehr zum Steinbruch der Regierenden. Und das wollen wir verändern. Da wollen wir zurückfinden zu einem Verfassungspatriotismus. Denn die Verfassung ist wirklich eine Freiheits-Statue in der Welt.
Frage: Bei einer Regierungsbeteiligung streben Sie das Amt des Außenministers an. Das werden Sie natürlich jetzt abwehren. Aber egal, was sind denn die Kernbotschaften liberaler Außen- und Sicherheitspolitik?
WESTERWELLE: Erst einmal werde ich es in der Tat abwehren, weil es nicht darum geht, was aus Guido Westerwelle wird. Es geht übrigens auch nicht darum, was aus Angela Merkel oder Herrn Steinmeier wird. Ich glaube, um uns muss man sich keine Sorgen machen. Wir werden schon irgendwie durchkommen. Es geht ums Land. Sorgen Sie sich gar nicht sosehr um mich. Sorgen Sie sich mal mehr um das Land, um die Familien im Land, um die Deutschen. Und was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht, da kann ich Ihnen sagen: Ich bedaure, dass es zwei Fehlentwicklungen gegeben hat neben vielem, was sehr gut gelaufen ist. Der Grundkurs der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik stimmt, und zwar seit Gründung der Republik. Und er stimmte auch ausdrücklich jetzt bei der Regierung Merkel und Steinmeier. Zwei Dinge ärgern mich. Erstens die Respektlosigkeit gegenüber den kleineren Ländern in Europa. Man darf die Kleineren eben nicht schlechter behandeln als die Größeren, denn eines Tages fällt das auf uns zurück. Man begegnet sich im Leben und auch in der Politik mindestens zweimal, dreimal, viermal. Und es kommt noch mal die Stunde, da sind wir auch auf unsere kleineren Nachbarn angewiesen. Also unseren kleineren Nachbarländern mit Kavallerie und Peitsche zu drohen, nur weil sie klein sind, das finde ich inakzeptabel.
Frage: Das wollen Sie als Außenminister nicht später ausbaden.
WESTERWELLE: Nein, ich will es auf keinen Fall akzeptieren. Ich kritisiere, dass der Finanzminister unsere kleineren befreundeten Nachbarländern mit der Kavallerie und der Peitsche droht und dass der Außenminister und übrigens auch die Kanzlerin dazu schweigen. Ich meine, wenn in Luxemburg mittlerweile einstimmige Parlamentsbeschlüsse gegen Deutschland und gegen diese Kritik richten, dann mag man sagen „Ach Gott, Luxemburg ist klein“, nur erstens ist in der Europapolitik Luxemburg überhaupt nicht kleiner als Frankreich. Und zweitens möchte ich mal sehen, wie wir Deutsche uns aufregen würden, wenn in der Welt die großen Länder wie China, wie Russland, wie die Vereinigten Staaten von Amerika uns mit der Kavallerie und der Peitsche amtlich drohen wollten, da wäre auch was los. Also was Du nicht willst, dass Dir man tut, das füge auch keinem Anderen zu. Das sind beste Freunde von uns Deutschen. Und die darf man nicht so schlecht behandeln.
Frage: Wir haben in einer Woche Europa-Wahl. Geht die nicht etwas unter in den Wahlen dieses Jahres? Welche Bedeutung messen die Liberalen der Europa-Wahl zu?
WESTERWELLE: Ich glaube, die Europa-Wahl ist wirklich eine wichtige Wahl. Das sage ich nicht aus parteipolitischem Interesse, sondern mir ist es lieber, man geht überhaupt zur Wahl und wählt eine andere demokratische Partei, bevor man gar nicht zur Wahl geht, obgleich ich natürlich dazu aufrufe, dass man der FDP seine Stimme gibt. Und in der Europa-Politik geht es ja noch um etwas Anderes. Es geht nicht nur um das, worüber wir uns ärgern. Natürlich ärgert man sich, wenn Brüssel die Glühbirnen verbieten will. Und ich spotte da immer: Da kann man ja wirklich die Fassung verlieren. Das geht die auch nichts an. Aber auf der anderen Seite: Wenn uns Europa nicht mehr gebracht hätte als jahrzehntelangen Frieden, es hätte sich doch schon gelohnt. Frieden ist erstmalig Normalität auf unserem Kontinent. Es war in den früheren Jahrhunderten der gesamten deutschen Geschichte die Ausnahme. Und meine Eltern sind noch zur Schule gegangen, und denen hat man einbläuen wollen: Frankreich ist Dein Erzfeind. Mein Gott, das haben wir alles schon vergessen. Mit der Freiheit und dem Frieden ist es so wie mit der Gesundheit: Das weiß man erst zu schätzen, wenn sie weg ist.
Frage: Ich habe auf dem Parteitag in Hannover eine FDP erlebt, die so geschlossen war wie, glaube ich, noch nie. Das hat eher an die CSU zu Zeiten der Strauß-Ära erinnert. Kein böses Wort, auch nicht hinter vorgehaltener Hand über Sie. Man hat aber auch den Eindruck: Die FDP ist ein bisschen starr geworden. Es gibt keine Kontroversen, lebendigen Diskussionen mehr in der Partei.
WESTERWELLE: Es gab sogar in der Umweltpolitik regelrechte Kampfabstimmungen bei unseren Programmen. Nur gucken Sie da nicht so genau hin. Das verstehe ich auch. Journalisten gucken erst dann hin, wenn der Parteivorsitzende richtig kräftig Prügel kriegt. Das ist stark, das ist spektakulär. Aber wenn eine Partei zwei Stunden lang über eine moderne Umwelt- und Energiepolitik miteinander ringt, wo auch die Ökologie und Ökonomie miteinander vereinbart werden, dann schaut man da natürlich nicht so gerne hin, weil das nicht so spektakulär ist. Und jetzt möchte ich mir eine freche Bemerkung in Richtung Ihrer beruflichen Innung, der Journalisten, erlauben: Sie suchen den Streit in einer Partei. Und die Wähler suchen die Geschlossenheit. Ich entscheide mich da doch sehr eindeutig für die Bürgerinnen und Bürger.
Frage: Eine letzte persönliche Frage: Hat Ihnen Ihr Coming-Out geholfen, authentischer, selbstbewusster aufzutreten?
WESTERWELLE: Ich bin ja nie in irgendeinem Schrank gewesen, sondern seit vielen Jahren weiß jeder, der es wissen wollte, wie ich lebe und wie mein Privatleben aussieht. Daraus habe ich ja nie ein Hehl gemacht. Aber dass ich seit jetzt nunmehr fast sechs Jahren in einer festen Beziehung bin, das ist ja dann der Anlass gewesen für manchen,
darüber zu schreiben. Bei uns bleibt es dabei: Das ist Privatleben. Wir bringen das nicht auf die Bühne, stellen das nicht ins Schaufenster. Wir leben unser Leben und erwarten auch – so wie wir uns nicht darüber beklagen, wenn Andere anders sind -, wollen wir auch, dass wir in vollem Umfange respektiert werden können. Erlaubt ist, was gefällt und keinem Anderen schadet.
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