Festkörper mit Speicherfunktionen

Frankfurt am Main

Festkörper mit Speicherfunktionen
Energie, Information, Stoffe
Festkörperchemiker und Materialforscher faszinieren seit jeher neue Stoffe und deren Strukturen. Nicht minder aber beschäftigt sie die Frage, wie diese neuen Stoffe der Gesellschaft nützen können: Beispielsweise ist die Frage der Energiespeicherung z.Zt. keineswegs zufriedenstellend gelöst. Für bessere Batterien werden neue Materialien benötigt. Und will man künftig Wasserstoffwirtschaft betreiben, muss man dieses brennbare Gas in geeigneten Materialien sicher speichern. Dass neue Materialien die Informationstechnologien revolutioniert haben, ist bekannt. Aber auch hier ist die Erfolgsstory noch nicht beendet. Zu neuen Forschungsergebnissen und Entwicklungen bei Festkörpern mit Speicherfunktionen veranstaltet die Fachgruppe Festkörperchemie und Materialforschung der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) vom 24. bis 26. September ihre diesjährige Vortragstagung an der Universität in Bayreuth.
In den letzten Jahren haben aufladbare Lithium-Ionen-Batterien einen Siegeszug angetreten. Man findet sie bereits in vielen tragbaren Geräten vor, setzt große Hoffnungen auf sie für Hybrid- und Elektrofahrzeuge und möchte Wind- oder Solarenergie mit ihrer Hilfe speichern. Viele Wünsche lassen sich aber nicht realisieren, weil die Elektrodenmaterialien den Anforderungen nicht genügen.
Professor Dr. Jean-Marie Tarascon von der Universität der Picardie in Amiens schlägt im ersten Hauptvortrag der Bayreuther Tagung einige Nanomaterialien als Kandidaten für die nächste Generation von Elektroden für Lithium-Ionen-Batterien vor. Diese Nanomaterialien basieren im Wesentlichen auf bislang genutzten Elektrodenmaterialien, so dass also die chemische Zusammensetzung und Struktur erhalten bleiben, sich aber die Größe der Materialeinheit von einem zusammenhängenden kristallinen Block auf Nanopartikel reduziert. Dadurch werden zahlreiche physikalisch-chemische Eigenschaften des Elektrodenmaterials verbessert. Nun kann man aber nicht einfach den kristallinen Block nanofein zermahlen, vielmehr muss man die Nanopartikel synthetisieren, was keineswegs einfach ist. Tarascon zeigt einige chemische Reaktionswege und damit neuartige Trends für das Design ideal geeigneter Elektroden für Lithium-Ionen-Batterien auf.
Batterien benötigen neben Elektroden auch Elektrolyte. Letztere sind nicht nur flüssig, wie man es von den Autobatterien und älteren ausgelaufenen Taschenlampenbatterien her kennt, sondern können auch durchaus fest sein. Professor Dr. Hans-Jörg Deiseroth von der Universität Siegen erforscht u.a. solche potenziellen Festelektrolyte für Lithium-Batterien. In seinem Hauptvortrag in Bayreuth fasst er den Stand der Forschung an der neuen Materialklasse der Lithium-Argyrodite zusammen. Argyrodite, benannt nach dem natürlichen Mineral Agyrodit, das aus Silber, Germanium und Schwefel besteht, benennen nun eine Stoffklasse, die sich durch hohe Beweglichkeit bzw. Leitfähigkeit von Silber- oder Kupferionen auszeichnet. Man kann, wie es an der Universität Siegen gelungen ist, Silber durch Lithium ersetzen. Die Lithium-Argyrodite weisen eine überraschend hohe lokale Mobilität der Lithium-Ionen über einen großen Temperaturbereich auf. Die kristallchemischen Strukturuntersuchungen sind noch in vollem Gange. Auf ihrer Basis wird man die Eigenschaften des Materials verstehen und verbessern können.
Wasserstoffbetriebene Autos sind schon lange ein Traum der Ingenieure. Nur, wie transportiert man den nicht ungefährlichen Wasserstoff in den benötigten Mengen im Auto? Ganz bestimmt nicht in Tanks oder Drucktanks. Schon lange forscht man an Materialien, die Wasserstoff aufnehmen, speichern und leicht auch wieder abgeben können. Ein äußerst schwieriges Problem, bei dessen Lösung die Festkörperchemiker gefragt sind. Professor Dr. Michael Fröba von der Hamburger Universität stellt in seinem Hauptvortrag nanoporöse Materialien vor, die sich für die Gasspeicherung eignen. Dazu gehören die Metal-Organic Frameworks (MOFs) oder andere organisch-anorganische Hybridmaterialien. Um die Speicherkapazität, die Adsorbtions- und Desorptionskinetiken bekannter und daraus weiter zu entwickelnder Materialien recht genau ermitteln zu können, müssen ausgewählte Verfahren des computergestützten Molecular Modelling eingesetzt werden. Aber es müssen auch neue Synthesewege beschritten und anschließend die Strukturen sehr genau bestimmt werden. Die Kombination von theoretischem Material-Screening mit experimentellem Arbeiten hat sich als sehr leistungsfähig in der Materialforschung erwiesen.
So genannte ’non-volatile memory devices‘ (permanente Speicher) sorgen im Computer dafür, dass die Daten beim Ausschalten nicht verloren gehen. Speicherkonzepten, die auf Änderungen des elektrischen Widerstands eines Festkörpermaterials basieren, liegen Ionentransporte und Redoxreaktionen zu Grunde. Professor Dr.-Ing. Rainer Waser, RWTH Aachen und Forschungszentrum Jülich, untersucht die Materialien und die darin ablaufenden physikalisch-chemischen, insbesondere elektrochemischen Prozesse. Deren Optimierung sieht er als einen Schlüssel für die Entwicklung künftiger permanenter Speicher an, wie er in Bayreuth darstellen wird.
Für die optische und/oder elektrische Datenspeicherung sind Phasenwechselmaterialien (phase change materials, PCM) besonders interessant. Bei Energieänderungen, selbst im Nanosekundenbereich, wechseln sie ihren Zustand reversibel zwischen amorph und metastabil kristallin. Damit ändern sich ihre opto-elektronischen Eigenschaften drastisch. Anwendung finden diese Materialien daher als Massenspeicher in wieder beschreibbaren DVDs und CD-RWs. Denkbar wären aber auch Random Access Memories (RAM) auf Basis von PCM. Professor Dr. Wolfgang Bensch von der Universität Kiel hält Germanium/Antimon/Tellur-Legierungen hierfür für geeignet oder auch Silber/Indium/Antimon/Tellur-Halbleitermaterialien. Zur Eigenschaftsänderung können diese zusätzlich mit Selen, Wismut oder Zinn dotiert werden.
Letzter Plenarvortragender in Bayreuth wird Professor Dr. Geoffrey A. Ozin von der Universität Toronto sein. ‚Er ist der Star dieser Konferenz‘, freut sich die Fachgruppenvorsitzende Professor Dr. Barbara Albert. Sein Vortrag befasst sich mit photonischen Nanomaterialien und wie sie aus dem Labor auf den Markt gelangten. Innerhalb der letzten zehn Jahre haben sich photonische Kristalle von einer Labor-Kuriosität zu HighTec-Anwendungen auf Nanotechnologiebasis gemausert, nicht zuletzt deshalb, weil die Photonik noch schnellere Prozesse ermöglicht als die Elektronik. Licht ist schließlich schneller als der Strom – nicht auszudenken, was ein photonischer Computer imstande wäre zu leisten. Doch so weit ist es noch nicht. Ozin stellt Materialentwicklungen vor, die unter den Bezeichnungen P-Ink und Elast-Ink eine neue Generation noch farbenprächtigerer Bildschirme sowie bei den biometrischen Sicherheitskontrollen und bei der Bekämpfung von Produktpiraten und Markenfälschern deutliche Verbesserungen hervorbringen könnten.
Während der 65jährige Ozin international unter den Top Ten der Materialwissenschaftler einzuordnen ist, gehört Dr. Florian Stadler zu den jungen Hoffnungsträgern in der Festkörperchemie. Sein Doktorvater, Professor Dr. Wolfgang Schnick von der LMU München, sagt ihm eine bemerkenswerte Karriere voraus, da Stadler in seinen Forschungsarbeiten an der Universität neue Nitridosilicate für LEDs entwickelt und damit nicht nur herausragende Grundlagenforschung betrieben, sondern auch effiziente Lumineszenzmaterialien für weitere industrielle Anwendungen hergestellt hat. Leuchtmittelhersteller nutzen bereits seine Materialien. Da die Ergebnisse Stadlers Arbeiten ein Meilenstein für das Maßschneidern optimierter Lumineszenz-Materialien für LED-Anwendungen sind, erhält Stadler den den Starck-Promotionspreis für Festkörperchemie und Materialforschung. Der von der Goslarer Firma H.C. Starck gestiftete Preis ist mit 5.000 Euro dotiert.
Die Gesellschaft Deutscher Chemiker gehört mit über 28.000 Mitgliedern zu den größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit. Sie hat 25 Fachgruppen und Sektionen, darunter die Fachgruppe Festkörperchemie und Materialforschung mit fast 700 Mitgliedern. Diese Fachgruppe ist ein kompetentes Forum für Fragestellungen aus den anorganischen Materialwissenschaften in Forschung, Anwendung und Lehre. Die rasch voranschreitende interdisziplinäre wissenschaftliche und technische Entwicklung auf dem Gebiet der Materialwissenschaften erfordert eine systematische Einbindung der Festkörperchemie bei Technologieprogrammen zur Materialentwicklung. Die Fachgruppe gibt Impulse für Förderprogramme des Bundes und der EU im Bereich der Technologien des 21. Jahrhunderts (z.B. neue Werkstoffe, Nanotechnologie).
Kontakt:
Dr. Renate Hoer
Gesellschaft Deutscher Chemiker e. V. (GDCh)
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Tel.: 069/7917-493
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