‚Den Deregulierern auf den Leim gegangen‘ – Allianz Lecture 3 – Finanzpolitik im Fokus
„Den Deregulierern auf den Leim gegangen“ – Allianz Lecture 3 – Finanzpolitik im Fokus
Stiftungsratsmitglied Manfred Erhardt hat im Allianz Stiftungsforum am Pariser Platz in Berlin Peer Steinbrück, Jean-Claude Juncker, Harold James und Michael Heise zur dritten Allianz Lecture unter dem Motto „Reden über Europa“ begrüßt.
Auf Einladung der Allianz Kulturstiftung debattierten die Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über staatliche Rettungspakete, den freien Markt und die zukünftige Regulierung der internationalen Finanzbranche.
Rezession als Folge von deregulierten Märkten
Peer Steinbrück verschonte das Publikum nicht mit kritischen und selbstkritischen Wahrheiten. Die Politik habe seit den 80er Jahren die Regulierung der Finanzwirtschaft zurückgefahren – mit dem Ergebnis einer weltweiten Rezession. „Wir sind den Deregulierern auf den Leim gegangen“, so der Bundesfinanzminister.
Die Politik habe teils zu spät und teils nicht entschlossen genug interveniert, räumte er ein. Aber Steinbrück reichte die Verantwortung für die Krise auch direkt ans Auditorium weiter. Jeder, der – wie ein Investmentbanker – aufgrund von zweistelligen Renditeversprechungen Finanzprodukte kauft, ohne dabei die Risiken im Blick zu behalten, trägt laut Steinbrück eine Mitschuld an der Krise.
„Wallstreet als neuer Sitz der Komintern“
Sein luxemburgischer Amtskollege Jean-Claude Juncker macht einen gefährlichen Herdentrieb in der Finanzbranche als Ursache für die Entstehung der Blase aus und sparte nicht mit Kritik an bekehrten Marktliberalen, die jetzt nach dem Staat rufen: „Die Wallstreet ist der neue Sitz der Komintern geworden.“
Laut Juncker bietet die Krise gleichzeitig auch die Chance, das wirtschaftspolitische Zusammenwachsen Europas zu beschleunigen und die finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb der Eurozone zu vereinheitlichen. Der luxemburgische Premier ruft nach dem „globalen Staat“, der die Normen für die Zukunft festsetzen müsse und zitiert Altkanzler Helmut Schmidt: „Finanzmärkte brauchen Verkehrsregeln.“
„Nackter politischer Pragmatismus“
Steinbrück wurde noch deutlicher als Juncker. Es sei typisch deutsch, dass sich eine antagonistische Wahrnehmung des Wortpaares Markt und Staat in den vergangenen Jahren durchgesetzt habe. „Aber es geht dabei nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl-als-auch.“ Die vergangenen Exzesse und ihre heutigen Kosten durch neue Marktregeln für die Zukunft auszuschließen, ist „nackter politischer Pragmatismus“, so der Minister.
„Schwellenländer an den Tisch holen“
Der Wirtschaftshistoriker Harold James rät davon ab, für die Regulierung der Finanzbranche eine neue Institution ins Leben zu rufen: „Man müsste das reformieren, was da ist. Die Schwellenländer müssen mehr Gewicht bekommen, wir müssen den IWF aufwerten und Indien und China mit an den Tisch holen“, so James.
„Wir sind alle Keynesianer“
Auf dem Podium herrschte insgesamt große Einigkeit über die zu treffenden Maßnahmen – ohne neue Schulden, lasse sich die Krise nicht wirksam bekämpfen, so Experten. James erklärte, die staatlichen Eingriffe seien ohne Alternative: „Wahrscheinlich sind wir aufgrund der Krise nicht alle Marxisten geworden, aber wir sind alle Keynesianer.“ Weil die derzeitigen Pläne des Staates im Zugriff auf die Ersparnisse zukünftiger Generationen konkret werden, fordern die Experten den Entwurf einer möglichst klaren und verbindlichen Exit-Strategie, um zu verhindern, dass einzelne Volkswirtschaften in eine Schuldenspirale geraten.
Zur vierten Lecture der Allianz Kulturstiftung begrüßt die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, hochkarätige Vertreter unabhängiger Verbände, Wissenschaftler und Klima-Experten im Allianz Stiftungsforum am Pariser Platz in Berlin. Am 15. März geht es dann unter dem Motto „Reden über Europa“ um die Frage: „Which New Global (Green) Deal for the Future?“
Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen, der Ihnen oben rechts zur Verfügung gestellt wird.
Kontakt für Presse
Michael Thoss
Allianz Kulturstiftung
+49.894107303
357000