Neuregelung der Agrarmarktbeihilfen ist nicht verfassungswidrig

Karlsruhe

Neuregelung der Agrarmarktbeihilfen ist nicht verfassungswidrig

Im Juni 2003 beschlossen die Agrarminister der Europäischen Union eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Die Reform zielt unter anderem darauf ab, die Überproduktion im Agrarbereich zurückzuführen, die durch produktionsmengenbezogene Subventionierung in der Vergangenheit gefördert worden war. Die Landwirte sollen sich bei ihrer Produktion deutlicher als bisher am Markt orientieren. Nach dem neuen Fördersystem soll eine Einkommensstützung erfolgen, die stärker an der Bewirtschaftung und Pflege von Flächen ausgerichtet ist. Nach der gemeinschaftsrechtlichen Verordnung Nr. 1782/2003 (VO) vom September 2003, die auf die Beschlüsse der Agrarministerkonferenz zurückgeht, erfolgt die neue Einkommensstützung für landwirtschaftliche Betriebe mittels einer sog. Betriebsprämie. Das Volumen der Betriebsprämien in den Mitgliedstaaten wird dabei durch die in der VO vorgegebenen nationalen Obergrenzen beschränkt. Zur Umsetzung der Betriebsprämienregelung in den Mitgliedstaaten sieht die VO zum einen ein sog. Standardmodell für die Aufteilung der Beihilfen vor, das die Höhe der künftigen Betriebsprämien an die Förderung in einem Referenzzeitraum (Jahre 2000 bis 2002) bindet. Alternativ räumt die VO den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, anstelle des Standardmodells für eine sog. „regionale Durchführung“ zu optieren und gleichzeitig die Vergabe der Betriebsprämien stärker von der Förderung im Referenzzeitraum zu lösen. Entschloss sich ein Mitgliedstaat zur regionalen Durchführung, hatte er – jeweils nach objektiven Kriterien – die Regionen festzulegen und die nationale Obergrenze auf die Regionen aufzuteilen. Das in der Bundesrepublik Deutschland im August 2004 in Kraft getretene Betriebsprämiendurchführungsgesetz dient der Umsetzung der VO. Dem Gesetz liegt nicht das sog. Standardmodell zugrunde, sondern ein regionales Modell. In einem ersten Schritt wird das Bundesgebiet in eine Mehrzahl von Regionen aufgeteilt, wobei sich die Aufteilung außer bei den Stadtstaaten an den Grenzen der Bundesländer orientiert. In einem zweiten Schritt wird das nationale Prämienvolumen nach einem bestimmten Schlüssel auf die Regionen verteilt. Der Verteilungsschlüssel enthält einerseits ein historisches Moment, indem er zum Teil an die frühere Förderung anknüpft (zu 65 %); andererseits berücksichtigt er den Umfang der beihilfefähigen Fläche innerhalb der jeweiligen Region (zu 35 %). In einem dritten Schritt – dabei unterschiedlich für die Startphase bis 2008, für die Übergangsphase von 2009 bis 2013 („Anpassungspfad“) und für die danach folgende Zeit – regelt das Betriebsprämiendurchführungsgesetz einen bundeseinheitlichen Modus für die Verteilung des jeweiligen Prämienvolumens innerhalb der einzelnen Regionen. Das Modell einer Kombination aus betriebsindividuellen und flächenbezogenen Förderanteilen weicht dabei mit Abschluss der Übergangsphase einer innerhalb der Regionen einheitlichen, rein flächenbezogenen Betriebsprämie. Für die Aufteilung des nationalen Prämienvolumens auf die Regionen bleibt es jedoch auch nach der Übergangsphase bei der Berücksichtigung des vergangenheitsbezogenen Förderelements. Die Anwendung dieses Berechnungsverfahrens führt dazu, dass auch nach Abschluss der Übergangsphase Bauern in unterschiedlichen Regionen verschieden gefördert werden. So wird ein saarländischer Landwirt nach aktuellen amtlichen Schätzwerten jährlich eine regionale Einheitsprämie von 258,– € pro Hektar, dagegen ein Landwirt aus Nordrhein-Westfalen 359,– € pro Hektar erhalten. Die Regierung des Saarlandes hat beantragt, das Betriebsprämiendurchführungsgesetz im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens für verfassungswidrig zu erklären.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts kam zu dem Ergebnis, dass durch das Betriebsprämiendurchführungsgesetz Art. 3 GG nicht beeinträchtigt ist. Es verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, wenn der Gesetzgeber bei der Umstellung der Agrarmarktbeihilfen die im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Einteilung des Bundesgebietes in Regionen im Wesentlichen an den Ländergrenzen ausrichtet. Zur Vermeidung struktureller Verwerfungen kann er selbst dann vergangenheitsbezogene Förderelemente berücksichtigen, wenn dies für die Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe in verschiedenen Regionen Deutschlands zu unterschiedlichen flächenbezogenen Förderbeträgen (Hektarprämien) führt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die rechtliche Ungleichbehandlung, die hier zwischen den Vergleichsgruppen der in den verschiedenen Regionen ansässigen Betriebsinhaber aufgrund unterschiedler Prämienhöhen feststellbar ist und die auch nach der Übergangsphase fortbestehen wird, ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Eine an Regionen ausgerichtete Differenzierung ist in einem Bundesgesetz nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Für besondere Fallgestaltungen können Differenzierungen nach regionalen Merkmalen vorgenommen werden, wenn sich für den Zuschnitt der Region und vor allem gerade für deren unterschiedliche Behandlung hinreichende sachliche Rechtfertigungsgründe finden lassen und der Gesetzgeber ein einheitliches Regelungsprinzip zugrunde gelegt hat.

Die Regelungen des Betriebsprämiendurchführungsgesetzes beruhen auch auf hinreichend sachbezogenen, nach Art und Gewicht vertretbaren Gründen. Das gilt sowohl für die gesetzliche Übergangsphase vom Kombinations- zum Flächenmodell als auch für das endgültige, rein regionale Flächenmodell. Die in der VO vorgegebenen Ziele der weitgehenden Entkoppelung der Produktion von der Beihilfegewährung einerseits und des Bestandsschutzes andererseits waren auch für den nationalen Gesetzgeber bei der Konkretisierung und Umsetzung der VO leitend. Diese Ziele sind verfassungsrechtlich legitim, denn der Gesetzgeber musste einem bereits im Gemeinschaftsrecht angelegten Zielkonflikt Rechnung tragen, der darin besteht, die Betriebsprämie in Abkehr von dem vorangegangenen Stützungsmodell von der Produktion zu lösen, zum anderen übermäßige Verwerfungen zu Lasten der Betriebsinhaber wie auch des Gemeinwohls infolge eines abrupten Systemwechsels zu vermeiden.

Die Regelung ist schließlich nicht deshalb sachwidrig, weil sie in ihrer konkreten Ausgestaltung zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung derjenigen Betriebsinhaber führen würde, die aufgrund ihrer regionalen Ansässigkeit weniger von dem Bestandsschutz profitieren als Betriebsinhaber in anderen Regionen, und die bei sonst vergleichbaren tatsächlichen Bedingungen geringere Betriebsprämien erhalten. Dabei rechtfertigt sich die vom Gesetzgeber vorgenommene regionale Gliederung des Bundesgebietes aus Gründen der Verwaltungspraktibilität. Auch die Einbeziehung der sog. Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg in jeweils angrenzende Flächenländer ist sachgerecht, weil diese wegen ihrer flächenmäßig geringen Größe und geringen Anzahl von Agrarbetrieben strukturelle Eigenarten aufweisen.

Der Modus der Aufteilung des nationalen Prämienvolumens auf die Regionen hält sich in seiner konkreten Ausgestaltung innerhalb des gesetzgeberischen Spielraums, denn es lässt sich nicht feststellen, dass der Gesetzgeber bei seinem Ansatz, die Gedanken der flächenbezogenen Förderung einerseits und des betrieblichen wie regionalen Bestandsschutzes andererseits in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, von unzutreffenden oder unvollständigen Tatsachen ausgegangen wäre. Die eintretenden regionalen Umverteilungseffekte wurden auf der Grundlage verschiedener Modelle ermittelt. Die Aufteilung der nationalen Obergrenze zu 65 % anhand historischer und nur zu 35 % anhand flächenbezogener Werte überschreitet nicht den Wertungsrahmen des Gesetzgebers, den er bei gewährender Staatstätigkeit in Anspruch nehmen darf.

Ferner erweist sich weder die Wahl des Startzeitpunkts der Übergangsphase bis zur Herstellung einheitlicher Flächenprämien innerhalb der Regionen (im Jahr 2009) als unangemessen spät, noch ist die Dauer der Übergangsphase (bis zum Jahr 2013) nach verfassungsrechtlichen Maßstäben unangemessen lang angesetzt worden. Einer besonderen verfassungsrechtlichen Bewertung bedarf allerdings die ab dem Jahre 2013 eintretende „Zementierungswirkung“ im Hinblick auf die Berücksichtigung der Förderung aus dem zurückliegenden Referenzzeitraum bei der Aufteilung des nationalen Prämienvolumens auf die Regionen. Die Gesichtspunkte der Umstellung der Betriebe auf das neue Fördersystem und der Vermeidung von Verwerfungen auch zwischen den Regionen werden im Laufe der Zeit zunehmend an Gewicht verlieren und zu einem bestimmten Zeitpunkt möglicherweise ganz entfallen. Da dieser Zeitpunkt indes deutlich in der Zukunft liegt und spätere Korrekturmöglichkeiten des Gesetzgebers offen sind, lässt sich derzeit nicht feststellen, dass diese in der Zukunft liegenden Wirkungen schon aus heutiger Sicht mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Die zuständigen staatlichen Organe sind allerdings gehalten, diesen Effekt zu beobachten, um einer sachlich etwa nicht mehr zu rechtfertigenden Zementierung des Einflusses vergangenheitsbezogener Referenzwerte ohne zeitliche Begrenzung ggf. entgegenzuwirken.

Die Bestimmungen des Gesetzes sind auch nicht in sich oder in einem übergeordneten Zusammenhang widersprüchlich oder systemwidrig oder verletzen das Gebot der Transparenz. Es war dem Gesetzgeber nicht verwehrt, unterschiedliche Regelungsziele zu verfolgen, auch wenn dies zu einer geminderten Wirkung hinsichtlich der Einzelziele führen mag. Gleichfalls war er nicht gehalten, die einzelnen Regelungsziele mit in den Gesetzestext aufzunehmen. Die zu prüfenden Regelungen des Gesetzes verletzen ferner nicht das föderative Gleichbehandlungsgebot; denn dieses findet dann keine Anwendung, wenn ein Bundesgesetz nicht die Länder als Adressaten hat, sondern sich lediglich auf die Finanzkraft der Bürger in den Ländern unterschiedlich auswirkt und so allenfalls mittelbar Einfluss auf die Finanzkraft der Länder auszuüben vermag.

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