Problem beim Krippenausbau: zu wenig qualifizierte Erzieherinnen und Erzieher

Gerlingen

Problem beim Krippenausbau: zu wenig qualifizierte Erzieherinnen und Erzieher

Wer sein Kind in Krippe oder Kita bringt, muss sich auf die hohe Qualität der Einrichtung verlassen können. Das geht nur, wenn die Häuser über ausreichendes und gut ausgebildetes Personal verfügen. Doch das ist heute schon rar. Der Fachkräftemangel werde sich noch verschärfen, befürchtet die Konzept-e für Kindertagesstätten gGmbH aus Gerlingen bei Stuttgart, die 15 Einrichtungen leitet.

Stuttgart (eos) – Der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur in Deutschland ist beschlossene Sache. Künftig wird es deutlich mehr Krippen und ganztags geöffnete Einrichtungen geben. Dass soll nicht nur Eltern eine Berufstätigkeit ermöglichen, sondern auch mehr Chancengleichheit durch eine optimale frühe Förderung möglichst vieler Kinder gewährleisten. Doch für diese qualitativ hochwertige Betreuung und Bildung der Kleinsten ist bereits heute der Fachkräftepool dürftig. „Von 30 Bewerberinnen und Bewerbern, die wir zum Gespräch einladen, kommen schließlich oft nur fünf oder sechs in Frage“, berichtet Carola Kammerlander desillusioniert. Sie ist pädagogische Gesamtleiterin bei der Konzept-e für Kindertagesstätten gGmbH in Gerlingen bei Stuttgart. Das Unternehmen leitet derzeit 15 betriebsnahe, betriebliche und wohnortorientierte Kinderhäuser und eröffnet noch dieses Jahr zwei weitere Einrichtungen, für die die Leiterin nur schwer geeignetes Personal findet. „Der weitere Ausbau der Kinderbetreuung auf dem gewünschten und von den Bildungsplänen der Länder vorgegebenen Niveau ist in Gefahr“, warnt die Pädagogin, deren Einrichtungen bereits seit Jahren nach einem einheitlichen, innovativen Kinderhaus­konzept mit Funktionsräumen arbeiten.

Familienministerium : „Einen Fachkräftemangel gibt es nicht.“
Das Bundesfamilienministerium sieht jedoch keinen Handlungsbedarf: „Die Bundesregierung geht nicht von einem Fachkräftemangel in dem genannten Berufsfeld aus“, hieß es auf Anfrage. Der volle zusätzliche Bedarf stelle sich zudem erst 2013 ein und die Länder könnten bis dahin die Ausbildungskapazitäten erhöhen und auch die Zahl der Fachhochschulabsolventinnen und -absolventen in diesem Bereich steigern, wenn sich dies als nötig erweise. In ihrer Antwort auf eine entsprechende Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke vom Juni 2007 verweist die Bundesregierung zudem auf die im Moment arbeitslosen Erzieherinnen und Erzieher. Rein rechnerisch sei der Bedarf gedeckt. „Um gegebenenfalls weitere Fachkräfte zu gewinnen“, heißt es weiter, „könnte zusätzlich auf die ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher zurückgegriffen werden, die entweder in den letzten Jahren ihre Ausbildung abgeschlossen haben und dann in ein anderes Tätigkeitsfeld gewechselt sind oder die sich zurzeit in der Familienphase befinden.“

„Wir brauchen nicht irgendwelche, sondern die richtigen Leute“
Aus Sicht der Träger, wie der Konzept-e, geht der Ansatz an der Realität vorbei: „Wir brauchen nicht irgendwelche Leute, die seit Jahren aus dem Beruf sind, sondern hier und heute Menschen, die den neuen pädagogischen Ansatz wirklich verstanden haben und umsetzen können“, sagt Kammerlander. „Kinderbetreuung hat sich in den letzten Jahren fundamental geändert: Unsere Kindergärten sollen heute Bildungseinrichtungen sein. Sie arbeiten mit einem spielerischen Bildungsansatz, der die Erziehungsfachleute zu Bildungsassistenten der Kinder macht.“ Das verändere den Alltag in den Einrichtungen völlig. Die einfühlsame Beobachtung der Kinder bilde die Grundlage für das pädagogische Handeln der Fachkräfte. Mit ihrem Spiel bzw. in ihrer Auseinandersetzung mit anregungsreichen Räumen und vielseitigen Materialien gäben die Kinder die Themen vor. Die Fachkräfte sprächen dann intensiv mit den Kindern über deren „Arbeit“ und bereicherten den Lernprozess mit Impulsen, die das jeweilige Erkenntnisinteresse aufgriffen und weiter führten. Das erfordere großes Einfühlungsvermögen in kindliche Sichtweisen, Flexibilität im Denken, Weltoffenheit, Kreativität, Zutrauen in die Fähigkeiten der Kinder und den Mut, ihnen Freiräume zu eigenem Erforschen und Ausprobieren zuzugestehen. Mit der früher üblichen Vorplanung entlang der Jahreszeiten und unter Einsatz von Schablonen habe das nichts mehr zu tun.

Viele Fachkräfte sind mit neuer Pädagogik überfordert
Angesichts dieser neuen Herausforderungen stünden auch alt gediente Erzieherinnen und Erzieher häufig quer im Stall und verweigerten sich dem geforderten pädagogischen Ansatz. Wer jahrelang aus dem Beruf draußen war, finde erst recht kaum mehr in dieses inzwischen fundamental veränderte Umfeld zurück. „Wir können nicht auf diese Kräfte setzen, wenn wir unseren Qualitätsstandard halten wollen,“ meint Konzept-e-Pädagogin Kammerlander.

Nachwuchs selbst heranziehen
Der Dienstleister, der im Auftrag von Unternehmen, deren Trägervereinen oder von Kommunen tätig ist, bildet daher inzwischen viele seiner Fachkräfte selbst aus. Dabei setzt der Betrieb auf die in Baden-Württemberg angebotene Form des Berufsakademie-Studiums. „Das Konzept einer ganz engen Verzahnung von Theorie und beruflicher Praxis ist wie geschaffen für das Anforderungsprofil von Frühpädagoginnen und -pädagogen“, erläutert Kammerlander und empfiehlt den Ausbildungsgang als bundesweites Vorbild und als Ansatz auch für die Ausbildung von Grundschullehrerinnen und -lehrern. Ein Hochschulstudium, das von vielen gefordert werde, sei nicht zielführend. „Reine Theoretikerinnen und Theoretiker brauchen wir für die Konzeptentwicklung und die wissenschaftliche Arbeit. In den Einrichtungen selbst sind sie häufig nicht am richtigen Ort“, meint die Diplom-Sozialpädagogin. „Erzieherinnen und Erziehern muss die Arbeit mit Kinder Spaß machen. Sie brauchen dafür echtes Feingefühl und ganz viel Geduld, damit sie sich wirklich auf die Kinder einlassen können. Wir haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die strahlen, wenn sie ins Kinderhaus gehen, weil sie sich so auf ‚ihre‘ Kinder‘ freuen.“ Diese Begeisterung für den Umgang mit den Kleinsten könne man im Studium aber nicht lernen.


Link:
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke „Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern für den geplanten Krippenausbau“:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/058/1605821.pdf

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