Russland: Abschwung unvermeidbar

Frankfurt am Main

Russland: Abschwung unvermeidbar

Das wirtschaftliche Umfeld hat sich zu Beginn der Amtsperiode von Präsident Dmitri Medwedew im Mai 2008 deutlich verschlechtert – nach einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung in den neun Jahren zuvor. Die innenpolitische Lage hingegen ist infolge der eindeutigen Mehrheitsverhältnisse in der Duma stabil geblieben. Der neue Ministerpräsident und ehemalige Präsident Wladimir Putin scheint die Befugnisse des Ministerpräsidenten nicht zu Lasten des Präsidenten ausdehnen zu wollen. Auf Dauer wird sich jedoch eine neue, in Russland bisher noch nicht erprobte Machtbalance zwischen dem von der Verfassung her starken Präsidenten Medwedew und dem politisch erfahrenen Ministerpräsidenten Putin einzuspielen haben. Außenpolitisch werden auch unter Präsident Medwedew unterschiedliche Positionen von Russland und den USA bzw. Europa bei den US-Raketenabwehrplänen, der NATO-Erweiterung, der Verletzung demokratischer Grundrechte, der russischen Außenpolitik gegenüber Nachbarstaaten (insbesondere Georgien), der Unabhängigkeit Kosovos sowie dem Atomprogramm Irans eingenommen. Russland wird vorerst nicht der WTO beitreten, da hierfür die Wirtschaft weiter geöffnet und Streitigkeiten mit einzelnen Nachbarstaaten gelöst werden müssten.

Die russische Wirtschaft hat seit 1999 bis Mitte 2008 ihre Leistung beeindruckend gesteigert: Das BIP stieg jährlich um durchschnittlich 7 %, die Investitionsquote erhöhte sich von unter 15 % auf über 20 % des BIP, der Staat erzielte regelmäßig beachtliche Haushaltsüberschüsse, die Inflationsrate sank stetig, und die Währungsreserven vervielfachten sich seit 2001 infolge der Leistungsbilanzüberschüsse auf 555 Mrd. $ (Ende Juni 2008). Darüber hinaus häuften sich Mittel von 200 Mrd. $ im Reservefonds und im Nationalen Wohlfahrtsfonds an. Die wirtschaftliche Schönwetterperiode ging allerdings nach dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise und dem starken Ölpreisrückgang im Herbst 2008 jäh zu Ende. Zudem sinkt auch die Ölförderung 2008 leicht. Die traditionellen Förderstellen in Westsibirien sind zunehmend erschöpft und neue in Ostsibirien erfordern teure Investitionen bei gleichzeitig höheren Förderkosten. Nach den vergangenen Verstaatlichungen halten sich die verbliebenen privaten Unternehmen bei neuen Investitionen zurück. Ausländische Unternehmen können in strategisch wichtigen Sektoren wie der Öl- und Gasförderung nur noch Minderheitsbeteiligungen eingehen. Daher liegt es künftig vor allem an den großen Staatsunternehmen, wie die Energiegewinnung sich künftig entwickeln wird. Die hohen Exportsteuern hemmen generell die Erdölförderung und bringen den Unternehmen seit dem Ölpreisrückgang Verluste. Die Regierung hat daher Anfang November 2008 die Exportsteuern von 372 $ auf 287 $ pro Tonne gesenkt; diese dürften bei weiter nachgebenden Ölpreisen nochmals herabgesetzt werden.

Der Staatsüberschuss war 2007 mit über 5 % des BIP nochmals beachtlich hoch. Die Regierung konnte deshalb im Wahljahr 2007 soziale Vorhaben verwirklichen und vor allem in die Infrastruktur kräftig investieren. Da die Staatsausgaben 2008 nochmals kräftig steigen, wird sich der Budgetüberschuss – wegen des Ölpreisverfalls und der niedrigeren Steuereinnahmen aus dem Ölsektor im zweiten Halbjahr – voraussichtlich halbieren. Die Verteilungsspielräume werden für die Regie rung 2009 wahrscheinlich noch enger werden. Sollte der Ölpreis auf dem Niveau von Anfang November 2008 (gut 60 $ pro Barrel) verharren, ist 2009 nur noch mit einem ausgeglichenen Budget zu rechnen.

Die Inflationsrate lag im September 2008 bei 16 % und übertraf damit ihren Tiefststand von März 2007 um mehr als das Doppelte. Einerseits ist dies die Folge davon, dass sich die Zentralbank kein konsequentes Inflationsziel setzt. Im ersten Halbjahr 2008 achtete sie darauf, dass sich der Rubel real nicht aufwertet, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit russischer Produkte zu sichern. Deshalb dehnte sie die Geldmenge stärker aus. Im September und Oktober 2008 pumpte die Zentralbank dann fast 100 Mrd. $ in den Banksektor, um die Liquidität zu sichern, denn die internationale Finanzkrise hatte auch die russischen Banken erreicht. Andererseits sind auch strukturelle Gründe für die markante Inflation ursächlich. Administrierte Preise wie bei Energie und Eisenbahn müssen in Richtung Marktpreise angehoben werden. Anfang 2008 legten die durchschnittlichen Löhne noch um über 30 % und die Produzentenpreise um 25 % zu. Seitdem haben sich die Vorzeichen auf dem Arbeitsmarkt jedoch gedreht. Die Finanzkrise hat im Herbst 2008 auch die Realwirtschaft erreicht. Das Arbeitsplatzrisiko ist deutlich gestiegen und die Lohndrift hat schlagartig nachgelassen.

Die Wirtschaft wuchs bis zum Spätsommer 2008 mit 8 % p.a. Der hohe negative Wachstumsbeitrag der Außenwirtschaft, die eingeschränkte Kreditvergabe der Banken infolge der schlechten Refinanzierungsbedingungen, die leicht fallende Ölförderung, die Ölpreisbaisse auf dem Weltmarkt und die unsicheren Rahmenbedingungen für private Investoren schwächen das Wachstum seither zunehmend. Einzelne Branchen wie der Bau und die Stahlindustrie befinden sich bereits in der Rezession. Die Immobilienpreise beginnen zu fallen, nachdem sie zuvor ungesunde Spitzen erreicht hatten. Das BIP-Wachstum wird daher bereits 2008 auf gut 6 % zurückgehen. Da die Ölpreise 2009 wahrscheinlich nicht deutlich steigen werden, wird die Wirtschaft dann mit 3 % voraussichtlich nur noch halb so schnell expandieren.

Die im ersten Halbjahr 2008 realisierten ausländischen Direktinvestitionen von 44 Mrd. $ zeigen, dass trotz des wieder größeren staatlichen Einflusses in strategisch wichtigen Sektoren private Investitionen lohnenswert geblieben sind. Netto betrachtet lagen die ausländischen Direktinvestitionen allerdings lediglich bei 11 Mrd. $, da russische Unternehmen ebenfalls kräftig im Ausland expandierten. Im zweiten Halbjahr 2008 dürften die Investitionen deutlich fallen, so dass sich die entsprechenden Jahreswerte voraussichtlich nicht wesentlich erhöhen werden. Die staatlichen und privaten Großunternehmen sind in den letzten Jahren stark mit Auslandskrediten und Aktienemissionen gewachsen. Die russischen Auslandsschulden stiegen bis Mitte 2008 auf 527 Mrd. $ zügig. Einige Kredite werden 2008 noch fällig oder sind mit Aktien als Sicherheiten unterlegt. Allerdings ist der russische Aktienindex seit Anfang 2008 um 70 % gefallen. Daher müssen diese Kredite nun entweder getilgt oder mit neuen Sicherheiten unterlegt werden. Da sich die Unternehmen infolge der Finanzkrise kaum neues Kapital besorgen können, hat die russische Regierung der staatlichen Entwicklungsbank VEB 50 Mrd. $ aus ihren Reserven übertragen. Mit diesem Geld können die Unternehmen auf Antrag ihre Fälligkeiten tilgen.

Der Rahmen von 50 Mrd. $ wird voraussichtlich ausreichen. 2009 werden allerdings weitere Kapitalspritzen aus staatlichen Fonds oder den Währungsreserven nötig werden, sollte sich die internationale Risikoaversion nicht wieder rasch legen. Das unterschiedliche Export- und Importwachstum sowie die seit dem Sommer rapide gesunkenen Ölpreise verschlechtern rasch die Leistungsbilanz. Die hohen Ölpreise bis zum Spätsommer bescheren 2008 zwar nochmals eine überschüssige Leistungsbilanz von fast 100 Mrd. $. Der Aktivsaldo dürfte 2009 jedoch bei seitwärts tendierenden Ölpreisen vollständig abschmelzen. Die Regierung sollte daher gerade in konjunkturell schweren Zeiten die Angebotsseite der Wirtschaft und insbesondere die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen verbessern, damit sich die Wirtschaftsstruktur mit einem nachhaltigen Wachstum über den Energie- und Rohstoffsektor hinaus verbreitert.

Russland: Der dynamische Handelspartner für Deutschland
Russland ist ein wichtiger Handelspartner für Deutschland. Deutschland exportiert „typische“ Investitionsgüter und importiert „klassische“ Energierohstoffe. Die deutschen Ausfuhren haben im 1. Halbjahr 2008 um über 23 % zugelegt. Der Handel zwischen beiden Staaten ist in etwa ausgeglichen.

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