WESTERWELLE-Interview für die ?Rheinische Post?

Berlin

WESTERWELLE-Interview für die „Rheinische Post“

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „Rheinischen Post“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten DR. MARTIN KESSLER und MICHAEL BRÖCKER:

Frage: Der Sprecher des CDU-Sozialflügels, Karl-Josef Laumann, hat gesagt, es gibt zwei Populisten in Deutschland: Oskar Lafontaine und Guido Westerwelle.

WESTERWELLE: Ein CDU-Politiker, der die FDP mit der Linkspartei gleichsetzt, muss überarbeitet sein. Der Mann braucht Urlaub.

Frage: Vielleicht denkt er ja nur wie sein Chef Jürgen Rüttgers?

WESTERWELLE: Herrn Rüttgers kenne und schätze ich seit langem. Er vertritt glaubwürdig und erfolgreich das schwarz-gelbe Projekt in Nordrhein-Westfalen. Herr Laumann ist nicht die CDU. Und offensichtlich heizt die liberale Konkurrenz in NRW den schwarzen Sozialdemokraten kräftig ein.

Frage: Ist die Merkel-CDU nicht auch näher an Laumann als an Westerwelle?

WESTERWELLE: In der Tat ist der Linksrutsch der Union auch ein Grund, die FDP zu unterstützen. Wir sprechen besonders für die Mittelschicht, die nicht länger enteignet werden will. Für manchen in der Union ist Schwarz-Gelb eine Option unter vielen, für uns ist Schwarz-Gelb ein Projekt.

Frage: Die FDP verspricht 32 Milliarden Euro Steuersenkungen. Gleichzeitig steht Deutschland vor einem gigantischen Schuldenberg. Wo bleibt die Ehrlichkeit?

WESTERWELLE: Das Eintreten für ein faires Steuersystem hat nicht nur etwas mit der Verbesserung der Konjunktur zu tun, sondern vor allem etwas mit der wachsenden Ungerechtigkeit in Deutschland. Die OECD hat uns gerade bescheinigt, dass in kaum einem anderen Land die kleinen und durchschnittlichen Einkommen so stark mit Steuern und Abgaben belastet werden wie in Deutschland. Es geht um Leistungsgerechtigkeit, es muss einen Unterschied machen, ob man morgens arbeiten geht oder liegen bleibt. Deswegen werden wir eine Steuerreform durchsetzen.

Frage: Nochmal. Wo kommt das Geld her?

WESTERWELLE: Alleine die Schwarzarbeit macht inzwischen 14 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Wenn wir nur 20 Prozent davon durch ein faires, verständliches Steuersystem zurückdrängen könnten, wären die Staatskassen prall gefüllt.

Frage: Keine zusätzlichen Schulden?

WESTERWELLE: Ein faires Steuersystem ist gut gegen Schulden.

Frage: Und keine Mehrwertsteuererhöhung?

WESTERWELLE: Wir werden einen Koalitionsvertrag nur unterschreiben, wenn darin ein neues, faires Steuersystem festgeschrieben ist. Und ich begrüße, dass auch Frau Merkel für die Union Mehrwertsteuererhöhungen ausgeschlossen hat.

Frage: Die Kanzlerin besucht US-Präsident Obama ein halbes Jahr nach dessen Amtsantritt. Hat es das schon einmal gegeben?

WESTERWELLE Die europäischen Regierungschefs Brown und Berlusconi waren jedenfalls vor ihr in Washington. Das fällt auf, weil umgekehrt Barack Obama innerhalb weniger Wochen zweimal Deutschland besucht hat. Dies zeigt Amerikas Interesse an einem geeinten Europa als aktivem Partner bei der Lösung internationaler Probleme. Ich hoffe, es gelingt der Kanzlerin jetzt, nicht nur die atmosphärischen, sondern auch die grundsätzlichen Verstimmungen zwischen der neuen US-Regierung und der Bundesregierung zu beseitigen.

Frage: Tritt Obama nicht anmaßend gegenüber der Kanzlerin auf, wenn er sie ¬ wie in Dresden ¬ zum Termin zitiert?

WESTERWELLE Der neue US-Präsident hat den Schwung des Anfangs. Darauf hat die Welt nach Herrn Bush zu Recht gewartet.

Frage: Offenbar ist der mächtigste Mann der Welt noch sauer, weil er als Kandidat nicht am Brandenburger Tor reden durfte.

WESTERWELLE Dies war möglicherweise der Anfang der Verstimmungen.

Frage: Hätten Sie als Kanzler einen ausländischen Wahlkämpfer reden lassen?

WESTERWELLE Selbstverständlich hätte Barack Obama vor dem Brandenburger Tor reden dürfen. Dort kann doch jeder reden.

Frage: Das Brandenburger Tor ist Deutschlands Nationalsymbol …

WESTERWELLE … und wird für Modenschauen, Popkonzerte und ähnliches benutzt. Warum soll dann nicht ein Präsidentschaftskandidat reden? Das war doch eine kleinkarierte Entscheidung. Die Bundesregierung hätte Ja sagen und dann Barack Obamas Rivalen John McCain herzlichst einladen sollen, auch dort zu reden.

Frage: Über solche Nicklichkeiten müsste das deutsch-amerikanische Verhältnis erhaben sein.

WESTERWELLE Leider ist die Haltung der Bundesregierung gegenüber unserem wichtigsten Verbündeten nicht klar. Es gibt auch in der Außenpolitik mittlerweile zu viel Gegeneinander von Schwarz und Rot. Die Bundeskanzlerin spricht eine Sprache, der Außenminister eine andere. Das wollen wir ändern. Wir müssen die deutsch-amerikanische Freundschaft schätzen und schützen.

Frage: Was soll die Kanzlerin jetzt tun?

WESTERWELLE Die Bundesregierung muss endlich auf die Friedens-Initiativen von Barack Obama eingehen. Sein Vorschlag einer Welt ohne Atomwaffen ist historisch. Eine Bundesregierung, an der die FDP beteiligt ist, wird wieder mit eigenen Abrüstungsinitiativen aktiv werden und den amerikanischen Präsidenten dabei unterstützen. Amerika definiert genau jetzt seine ganze Politik neu. Da sollten wir nicht passiver Zuschauer sein, sondern aktiver Mitgestalter. Internationale Vertragswerke mögen lange dauern, aber die Zeit für konkrete Absprachen ist jetzt.

Frage: Im Iran begehrt das Volk gegen den Wahlbetrug auf. Warum hält sich der Westen so zurück?

WESTERWELLE Ich bewundere die Menschen, die in Teheran und anderen Städten Irans auf die Straße gehen und für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ihr Leben einsetzen. Es ist klug, dass die Bundesregierung hier einen festen Standpunkt vertritt und gleichzeitig den Gesprächsfaden nicht abreißen lässt.

Frage: Von neuen Sanktionen gegenüber dem Iran halten Sie nichts?

WESTERWELLE Wir wollen einen Aufbruch im Iran unterstützen und sollten derzeit den Scharfmachern in Teheran keinen Vorwand für noch Schlimmeres liefern.

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