WESTERWELLE-Interview für die „Volksstimme“

Berlin

WESTERWELLE-Interview für die „Volksstimme“

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „Volksstimme“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte GEORG KERN:

Frage: Der britische Ökonom John Maynard Keynes empfiehlt staatliche Investitionen in der Wirtschaftskrise.

WESTERWELLE: Wenn Sie mich fragen, ob der Staat derzeit etwas gegen die Wirtschaftskrise tun sollte, lautet meine Antwort eindeutig ja: Steuersenkungen, mehr Bildungsinvestitionen, Lösen der bürokratischen Genehmigungsbremsen bei der Infrastruktur und Energie.

Frage: Es passiert eine Menge. Gerade schnürt die Bundesregierung ein zweites Konjunkturpaket. Die Staatsverschuldung steigt auf Rekordhöhe.

WESTERWELLE: Wir müssen die Staatsverschuldung im Auge haben. Wir dürfen nicht auf Kosten unserer Kinder leben.

Frage: Das sagen Sie, der immer fordert, die Bundesregierung müsste mehr gegen die Krise tun.

WESTERWELLE: Es ist ärgerlich, dass die Bundesregierung in Zeiten guter Konjunktur auch noch Schulden gemacht hat, statt mit den Überschüssen für schwächere Zeiten vorzusorgen. Es geht um mutige, strukturelle Reformen zum richtigen Zeitpunkt.

Frage: Zum Beispiel?

WESTERWELLE: Nehmen Sie die jetzt geplanten Steuererleichterungen. Ich habe mich zwar sehr gefreut zu hören, dass Finanzminister Steinbrück den Eingangssteuersatz senken will – eine alte FDP-Forderung übrigens. Aber: Erstens hätten Steuererleichterungen längst kommen müssen. Und zweitens ist das Vorhaben bei

weitem nicht die grundlegende Einkommensteuerreform, die wir Liberalen fordern. Diese Steuersenkungen sind eher symbolischer Balsam.

Frage: Sie wollen ein Stufenmodell mit den drei Steuersätzen 10, 25 und 35 Prozent.

WESTERWELLE: Genau. Das ist niedrig, einfach und gerecht – das wäre das beste Konjunkturprogramm.

Frage: Aber ist es auch finanzierbar?

WESTERWELLE: Ja, wir haben es vorgerechnet. Außerdem stimulieren niedrigere und vereinfachte Steuern die Wirtschaft, schaffen Arbeitsplätze und sorgen so schon nach kurzer Zeit dafür, dass auch die Staatseinkünfte steigen.

Frage: Niedrigere Steuern, weniger Staat: Ist das nicht genau das Denken, das uns die Wirtschafts- und Finanzkrise eingebrockt hat?

WESTERWELLE: Die Ursache der Finanzkrise war vor allem Staatsversagen. Ein Staat, der jeden Rauchkringel gesetzgeberisch vermessen will, aber bei der Bankenaufsicht wegsieht, ist ein schwacher Staat.

Frage: Jetzt plädiert der Liberale Westerwelle für mehr staatliche Kontrolle?

WESTERWELLE: Ja, warum denn nicht? Wir haben den fetten Staat an der falschen Stelle. Wer immer behauptet, die FDP sei pauschal gegen den Staat, hat das Wesen des Liberalismus nicht verstanden. Wir sind doch keine Anarchisten!
Die FDP hat vor der Bundestagswahl 2005 beispielsweise schon gefordert, die Bankenaufsicht bestehend aus Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Bundesbank und Bundesfinanzministerium zusammenzuführen, damit eine effektive Kontrolle des Finanzsektors möglich ist. Das steht immer noch aus.

Frage: Staatsangestellte als die besseren Bänker: Wie gut das funktioniert sehen wir bei der KfW oder einigen Landesbanken.

WESTERWELLE: Eben. Es ist die Aufgabe einer Staatsbank, bei Existenzgründungen zu helfen, den Mittelstand zu stärken, aber nicht mit Steuergeldern in der Welt herum zu spekulieren.

Frage: Erklärt das auch, weshalb Sie den Einstieg des Staates bei der Commerzbank befürworten?

WESTERWELLE: Beim Banken-Rettungspaket ging es in erster Linie darum, den Mittelstand und die Ersparnisse der Millionen Bürger zu schützen. Deshalb mussten wir einen Kollaps des Finanzsystems unbedingt verhindern.

Frage: Der Steuerzahler soll jetzt also ausbaden, dass sich die Commerzbank bei der Übernahme der Dresdner Bank verschluckt hat?

WESTERWELLE: Ich teile Ihre Kritik. Aber immerhin erhält der Staat dafür ein Aktienpaket, das er später wieder verkaufen kann. Das Finanzsystem muss insgesamt zugunsten aller Sparer, Rentner und Arbeitnehmer geschützt werden, das ist eine hoheitliche Aufgabe des Staates. Daher hat die FDP auch für das Banken-Rettungspaket gestimmt.

Frage: Das jetzt kaum jemand in Anspruch nehmen will.

WESTERWELLE: Deshalb war die FDP auch dafür, das Rettungspaket für die Banken verpflichtend zu machen. Leider konnten wir uns damit nicht durchsetzen. Das Beispiel zeigt, wie sehr es der Bundesregierung an Wirtschafts- und Finanzkompetenz mangelt. Die größte Kompetenz sitzt immer noch bei der FDP. Das spüren die Wähler, und deshalb stehen wir entgegen allen Unkenrufen in den Umfragen sehr gesund da.

Frage: Im zweistelligen Bereich nämlich. Die Union dagegen schwächelt in vielen Umfragen, liegt dort unter 40 Prozent.

WESTERWELLE: Ich glaube dennoch an die Chance einer schwarz-gelben Regierung nach der nächsten Bundestagswahl. Wir Liberalen sind auf einem guten Wachstumskurs, und ich setze darauf, dass wir manche, auch inhaltliche Schwäche der Union ausgleichen.

Frage: Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang den Steuerstreit innerhalb der Union?

WESTERWELLE: Der macht mir Sorge, weil wir eine zunehmende Richtungslosigkeit innerhalb der Union erkennen können. Dass CDU und CSU überhaupt solange gebraucht haben, sich auf kleinste Steuererleichterungen festzulegen, zeigt doch, dass sich große Teile der Union sehr der SPD angenähert haben. Zu viele Unionspolitiker haben sich jetzt schon mit dem Gedanken einer Wiederauflage der Großen Koalition angefreundet. Deshalb freut mich natürlich, dass beide Unionsparteien mittlerweile eine klare Tendenz zugunsten der FDP zu erkennen gegeben haben.

Frage: Die Sie erwidern?

WESTERWELLE: Dass ich für eine Mehrheit der Mitte aus Union und FDP bin, ist ein offenes Geheimnis. Wir werden eine Koalitionsaussage rechtzeitig beschließen.

Frage: Warum zögern Sie – CDU und CSU haben sich doch klar für die FDP ausgesprochen?

WESTERWELLE: Wir sind gespannt, was im Wahlprogramm der Union dann auch tatsächlich stehen wird.

Frage: Welche alternativen Koalitionen kämen für Sie nach der Bundestagswahl grundsätzlich in Frage?

WESTERWELLE: Ich sehe keine wesentlich andere Lage als schon 2005. Ich kann nur zur Kenntnis nehmen, dass sich die SPD gegen Steuersenkungen sperrt. Und ich muss zur Kenntnis nehmen, dass die Grünen aus der Kernkraft und gleichzeitig aus der modernen Kohlekraft aussteigen wollen. Ich bin auch für regenerative Energien, aber ich bin gleichzeitig dagegen, dass wir mit ausländischen Gaslieferungen erpressbar werden. Wir brauchen einen Energiemix.

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