Zur Nachteilsausgleichspflicht im faktischen Aktienkonzern
Zur Nachteilsausgleichspflicht im faktischen Aktienkonzern
Der II. Zivilsenat hatte heute über folgenden Fall zu entscheiden: Der Insolvenzverwalter der MPS AG nimmt die beiden Beklagten als ehemalige Aufsichtsratsmitglieder der Schuldnerin auf Schadenersatz wegen eines Teilbetrages von knapp 7 Mio. € in Anspruch. Er wirft den Beklagten vor, sie hätten ihre organschaftlichen Pflichten verletzt, weil sie es zugelassen hätten, dass die Schuldnerin an ihre Mehrheitsaktionärin, die MPS GmbH Darlehen in erheblicher Höhe ohne Sicherheit begeben hat. Aus einem im März 2001 vorgelegten Prüfbericht der Abschlussprüferin – er enthält die Feststellung, dass keine Hinweise darauf bestünden, die Darlehensforderungen der Schuldnerin seien nicht werthaltig – hätte sich jedem sorgfältig handelnden Aufsichtsratsmitglied aufgedrängt, dass die bisher ungesicherten Darlehen, wenn sie nicht zurückgezahlt werden konnten, wenigstens nachträglich besichert werden mussten und neue Darlehen von vornherein nur gegen Besicherung ausgereicht werden durften.
Das Berufungsgericht hat sich – an das sog. „Novemberurteil“ des II. Zivilsenats anlehnend (BGHZ 157, 72) – in weiten Teilen der Argumentation des Klägers angeschlossen, dass die Beklagten ihrer Überwachungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen seien. Es hat deswegen die Beklagten im wesentlichen entsprechend dem Antrag des Klägers zum Schadenersatz nach den §§ 318, 317 iVm § 311 AktG verurteilt.
Der II. Zivilsenat hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er hat das Verhältnis des § 311 AktG zu den §§ 57 und 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG – nicht zuletzt im Hinblick auf die klarstellenden Änderungen des § 57 AktG durch das MoMiG – anders als das Berufungsgericht bestimmt. Soweit sonst nach § 57 oder § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG erfasste Vorgänge von der Sondervorschrift das § 311 AktG für den faktischen Aktienkonzern erfasst werden, werden die genannten Bestimmungen verdrängt. Der abhängigen Gesellschaft zugefügte Nachteile müssen danach nicht sofort ausgeglichen werden; es reicht aus, wenn der Ausgleich spätestens am Ende des jeweiligen Geschäftsjahres stattfindet oder zu diesem Zeitpunkt ein Rechtsanspruch auf Durchführung des Ausgleichs eingeräumt wird. Entgegen der Ansicht des Klägers ist nicht schon die Einräumung eines – marktgerecht verzinsten – Darlehens deswegen nachteilig, weil es nicht besichert worden ist; nach der Systematik der Vorschriften und dem Sinn des Gesetzes reicht es aus, wenn im Zeitpunkt der Ausreichung des Darlehens der Rückzahlungsanspruch vollwertig ist. Die Geltung dieses Prinzips hat der Gesetzgeber soeben mit der Änderung des § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG (Geltung der bilanziellen Betrachtungsweise) durch das MoMiG entgegen Zweifeln, die das erwähnte Novemberurteil hervorgerufen hat, klargestellt.
Wenn danach nach den bisher getroffenen tatrichterlichen Feststellungen ein Verstoß gegen § 311 AktG nicht schon bei der Darlehensvergabe gegeben war, kann sich eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder nach den erwähnten Vorschriften auch deswegen ergeben, weil sie in der Folgezeit es versäumt haben, die sich nunmehr als geboten erweisende Sicherstellung oder Rückführung der Kredite zu veranlassen. Um dieser Pflicht nachzukommen, sind sie nach den allgemeinen, den Pflichtenstandard von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern umschreibenden §§ 93 Abs. 1, 116 AktG gehalten, die fortdauernde Werthaltigkeit des Rückzahlungsanspruchs zu prüfen.
Ob die Beklagten diesen Anforderungen entsprochen haben, hat das Berufungsgericht von seinem anderen Rechtsstandpunkt aus nicht prüfen müssen. Die Zurückverweisung der Sache gibt ihm die Gelegenheit, dies nachzuholen.
Urteil vom 1. Dezember.2008 – II ZR 102/07
LG Erfurt – 10 O 611/04 – Entscheidung vom 09.09.2005
OLG Jena – 6 U 947/05 – Entscheidung vom 25.04.2007
Karlsruhe, den 1. Dezember 2008
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